Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
einmal im Monat stattfinden sollte, lässt er ausfallen. So ist das nun mal mit dem modernen amerikanischen Leben in Südkalifornien. Die Kodanis sind schwer beschäftigte Leute – Beth macht brutale Überstunden im Krankenhaus, und Johnny arbeitet sich durch seine Fälle wie eine Maschine ohne Abstellknopf. Dann sind da noch die Kinder – Fußballspiele, Little League, Karate, Ballett, Nachhilfestunden. Kein Wunder, dass für die alten Traditionen kaum Zeit bleibt.
Jetzt öffnet der gute Detective die billige, klapprige Schiebetür, hinter der sich ein schmaler Schrank verbirgt. Keine Klamotten auf den Drahtbügeln, keine Schuhe auf demBoden. Nur der Koffer einer Frau – eher eine Tasche für eine Nacht. Johnny durchwühlt ihn. Eine Jeans, eine zusammengelegte Bluse, Unterwäsche, die übliche Auswahl an Kosmetika.
Entweder hatte Tammy Roddick nicht vorgehabt, lange wegzubleiben. Oder sie hatte keine Zeit zu packen. Weshalb würde eine Frau, die Selbstmord begehen will, eine Tasche für die Nacht packen?
Johnny geht ins Badezimmer.
Es springt ihm direkt ins Gesicht.
Auf dem Waschbecken liegen zwei Zahnbürsten.
Eine davon ist pinkfarben und klein.
Die Zahnbürste eines Kindes.
25
Das Mädchen geht auf dem ausgetretenen Pfad neben der Straße. Ihre Haut ist von einem satten Braun, ihr Haar so schwarz wie frisch geschürfte Kohle. Sie stolpert über eine braune Bierflasche, die jemand in der Nacht zuvor aus einem Wagen geworfen hat, aber sie geht weiter und befingert dabei ein kleines silbernes Kreuz, das sie an einer dünnen Kette um ihren Hals trägt. Es macht ihr Mut; es ist das einzige greifbare Symbol der Liebe in einer lieblosen Welt.
Unter Schock und nicht ganz sicher, wohin sie geht, hält sie sich an den Ozean zu ihrer Linken, denn er ist das Einzige, das sie erkennt, und sie weiß, wenn sie sich immer ans Wasser hält, wird sie irgendwann zu den Erdbeerfeldern gelangen. Die Felder sind schlecht, aber sie sind das einzige Leben, das sie in den vergangenen beiden Jahren kannte, und ihre Freundinnen sind dort.
Sie braucht ihre Freundinnen, denn jetzt hat sie niemanden mehr. Und wenn sie die Erdbeerfelder findet, dann findet sie auch ihre Freundinnen, vielleicht darf sie auch zudem weißen Doktor, dem Guero, der immerhin freundlich zu ihr war. Also geht sie weiter nach Norden. Die Fahrer, die in ihren Autos an ihr vorbeirauschen, bemerken sie nicht – sie ist nur ein mexikanisches Mädchen am Straßenrand.
Ein Windstoß fegt ihr Schmutz und Müll um die Knöchel.
26
Boone macht im Sundowner Station, um sich eine Dosis Koffein zu verabreichen und den Moment aufzuschieben, in dem er Petra Hall, der Anwältin und universalen Nervensäge, das Unbegreifliche begreiflich machen muss.
High Tide ist auch da; er hat seinen massigen Körper mit überraschender Eleganz auf einen Hocker an der Bar gepflanzt, und seine riesigen Hände halten ein Sandwich, das so groß ist, dass ihm eigentlich eine eigene Postleitzahl zugeteilt werden müsste. Er trägt die braune Uniform der Stadtwerke von San Diego, wo er Vorarbeiter ist. Im Prinzip ist Tide für die Kanalisation in diesem Teil der Stadt zuständig, und aufgrund der bevorstehenden Wetterlage weiß er, dass es ein langer Tag werden kann.
Boone setzt sich zu ihm und Sunny, die Gläser abtrocknet, kurz aufblickt, zur Kaffeekanne geht, ihm eine Tasse einschenkt und sie über den Tresen schiebt.
»Danke«, sagt Boone.
»Nichts zu danken.« Sie trocknet weiter Gläser ab.
Warum ist sie so angepisst? Das fragt sich Boone. Er wendet sich an Tide. »Ich hatte gerade eine Unterhaltung mit einem der interessanteren Vertreter der pazifischen Gemeinde.«
»Wie geht’s Eddie?«, fragt Tide.
»Er ist irgendwie gestresst«, sagt Boone. »Ich dachte, ihr Inseltypen seid alle entspannt und cool und so.«
»Die schlechten Gewohnheiten haben wir von euch übernommen«, entgegnet Tide. »Protestantische Arbeitsethik, calvinistische Prädestination, der ganze Scheiß. Was bringt Eddies Eier so in Wallung?«
»Dan Silver.«
Tide beißt von seinem Sandwich ab. Senf, Mayonnaise und etwas, von dem Boone hofft, dass es Tomatensaft ist, spritzt seitlich aus dem Brot. »Ergibt keinen Sinn. Eddie geht in keine Stripclubs. Wenn er das will, kommt der Stripclub zu Eddie.«
»Er behauptet, Dan schuldet ihm einen fetten Batzen.«
Tide schüttelt den Kopf. »Hab noch nie gehört, dass Eddie Geld unter die Leute bringt. Schon gar nicht, dass er haoles welches leiht. Eddie
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