Pain - Bitter sollst du buessen
behalten«, sagte Montoya. »Irgendwoher kannte das Mädchen die Radiopsychologin.«
Was keine gute Nachricht war. Bentz feilte an einer Theorie, von der er noch nicht wusste, ob sie hieb- und stichfest war, doch sie erschien ihm immer plausibler. Was wäre, wenn der Mörder seine Opfer nicht mehr wahllos aussuchte, wenn er sich in seinen Wahn hineinsteigerte, immer häufiger zuschlug, was wäre, wenn er sich seinem eigentlichen Ziel näherte … wenn alles darauf hinauslief, dass er Samantha Leeds töten wollte?
Das entsprach zwar nicht dem üblichen Ablauf, aber dieser Fall war ja auch keiner von der üblichen Sorte. Der Kerl verteilte keine Hinweise an Polizei und Presse, er versuchte nicht, einen gewissen Ruhm zu ernten. Es ging ihm um die Anrufe bei Dr. Sam … Bentz betrachtete den Kranz von kleinen Schnittwunden am Hals des Opfers und hatte das Gefühl, dass die Abstände zwischen den einzelnen Stellen eine Bedeutung hatten, eine Bedeutung, die er eigentlich verstehen sollte.
»Hast du nicht gesagt, eine Hotelangestellte hätte den Kerl gesehen?«
»Ja.« Montoya machte Platz für den Fotografen. »Sie hält sich im Moment im Hotelbüro auf.« Er klappte ein kleines Notizbuch auf. »Sie heißt Lucretia Jones, arbeitet hier seit etwa neun Monaten und hat dem Beamten, der als Erster am Tatort war, schon ihre Aussage zu Protokoll gegeben. Ich habe sie gebeten, sich zur Verfügung zu halten, weil ich mir gedacht habe, dass du mit ihr reden willst.«
Bentz nickte. »Sonst noch was?«
»Wir haben das Original seiner Anmeldung in diesem Hotel. Er hat mit John Fathers unterschrieben.«
»Hat er eine Adresse angegeben?«
»Ja, eine in Houston.«
Bentz schaute Montoya skeptisch an. »Hat das jemand überprüft?«
»Eine Fantasieadresse. Die Straße war schon richtig – die Straße, in der Annie Seger gewohnt hat –, aber die angegebene Nummer gibt es dort nicht.« Montoya und Bentz sahen einander bedeutungsvoll an. Sie traten hinaus auf den Flur, wo ein paar neugierige Gaffer die Hälse reckten. »Würde sagen, die Adresse ist ein weiteres verdammt klares Bindeglied.«
Ausnahmsweise freute sich Bentz nicht sonderlich darüber, dass sich sein Gefühl im Bauch als zutreffend erwiesen hatte. »Musste John Fathers denn nicht seinen Führerschein vorlegen oder sich sonst wie ausweisen?«
»Anscheinend nicht. Hat einfach im Voraus bezahlt – mit einem Hundertdollarschein für ein Zimmer, das neunundvierzig Dollar kostet. Kein Gepäck. Das ist im Grunde nichts Besonderes für ein Hotel wie dieses. Es ist hier wohl so üblich – die Typen gabeln eine Nutte auf und buchen ein Zimmer. Da werden keine Fragen gestellt.« Vor dem Aufzug blieben sie stehen. Montoya drückte den Knopf.
»Diese Angestellte wartet also im Büro?«, versicherte sich Bentz.
Montoya nickte.
»Dann wollen wir mal sehen, was sie zu erzählen hat.«
Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie stiegen in die enge Kabine, die sie in das einstmals bedeutend elegantere Foyer entließ. Jetzt konnte man es bestenfalls als schäbig bezeichnen. Der Kronleuchter, ein Souvenir an bessere Zeiten, war verstaubt, viele Glühbirnen waren durchgebrannt, die Kübelpflanzen bei der Tür ließen die Blätter hängen, der Teppich war abgenutzt, in einer Ecke stand ein vergessener Staubsauger. Was vor achtzig Jahren herrschaftlich gewesen war, wirkte nun regelrecht heruntergekommen, ein muffiges, dunkles Loch mit einem Rezeptionstisch, der bestimmt schon ein, wenn nicht zwei Jahrhunderte auf dem Buckel hatte.
Zwei Frauen in schwarzen Röcken und Blazern mit weißen Blusen darunter arbeiteten hinter dem Tisch und blickten auf Computermonitoren, die in dem alten Gebäude fehl am Platz erschienen. Ein korpulenter Kerl, vielleicht der Hotelpage oder Portier, schlürfte an der Tür zu einem Hinterzimmer seinen Kaffee. Bentz zeigte seine Dienstmarke, erklärte, was er wolle, und die größere von den beiden Frauen winkte Montoya und Bentz hinter den Tresen. »Lucretia ist da hinten«, sagte die Rezeptionistin. »Aber sie hat schon mit einem von den Polizisten gesprochen.«
»Es dauert nur ein paar Minuten«, beteuerte Bentz.
Die Frau führte ihn und Montoya einen kurzen Flur entlang zu einem hell erleuchteten Zimmer, in dem ein Computer summte. Ein von Kaffeeflecken verunstalteter Tisch stand mitten im Raum, ein altes Sofa war in der Nähe von Mikrowelle und Kühlschrank an eine Wand gerückt worden. Ein spindeldürres schwarzes Mädchen saß auf dem Sitzmöbel und
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