Pain - Bitter sollst du buessen
das Labyrinth von WSLJ hindurch auf den Weg zu den Aufzügen. Ihre Nerven waren noch immer zum Zerreißen gespannt, und das alte Gebäude mit den schmalen, verwinkelten Gängen, dem muffigen Geruch und den kleinen Bürokabinen erschien ihr unheimlicher, als sie es in Erinnerung hatte. »Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich selbst, als der Aufzug im Erdgeschoss anhielt. »Du bildest dir das alles nur ein.« Am Eingang zog sie ihre Karte durch das automatische Türschloss und trat hinaus in die schwüle Nacht von New Orleans.
Es war stickig und feucht. Ein paar Autos fuhren durch die engen Straßen, der Geruch des Flusses lag schwer in der Luft, und am Jackson Square spiegelte sich das Licht der Straßenlaternen in den Palmwedeln. Trotz der späten Stunde waren noch Fußgänger unterwegs, und Sam fragte sich unwillkürlich, ob einer von ihnen der Anrufer, der »Verrückte« war, der Mann, dessen weiche Stimme ihr das Blut in den Adern gerinnen ließ.
Statt mit dem Gipsbein die paar Blocks bis zum Parkhaus zu humpeln, hielt Sam ein Taxi an und beobachtete während der kurzen Fahrt die Passanten, die auch zu nachtschlafender Zeit nie vollständig zu verschwinden schienen.
Ein Bürger dieser Stadt führt anscheinend einen ganz persönlichen Rachefeldzug gegen dich. Warum? Was sollst du bereuen? Wer zum Teufel ist er? Und die wichtigste Frage: Wie gefährlich ist er?
Sie lehnte sich im Sitz zurück und hoffte, dass die Sache mit dem Telefonat ausgestanden sei. Der Anrufer, John, hatte Kontakt mit ihr aufgenommen. Vielleicht ließ er sie jetzt in Ruhe.
Und doch musste sie während dieser Fahrt durch die dunklen Straßen der Stadt an das verstümmelte Foto denken, das jemand, wahrscheinlich dieser John, ihr geschickt hatte. Und sie wusste mit lähmender Sicherheit, dass die Geschichte erst ihren Anfang genommen hatte.
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3 . Kapitel
D icke, nachtschwarze Wolken verdeckten den Mond. Regen prasselte schräg vom Himmel herab, und während das Sommergewitter über ihn hinwegzog, frischte der Wind auf und krönte die Wellen des für gewöhnlich ruhigen Lake Pontchartrain mit Gischt. Ty Wheelers Segelboot schwankte heftig, dem Wind ausgeliefert, die Segel blähten sich, das Deck neigte sich dem dunklen, undurchsichtigen Wasser zu. Er ignorierte die Elemente genauso wie seine Überzeugung, dass seine Mission vergeblich war – er befand sich eindeutig zur falschen Zeit am falschen Ort. Er sollte die Segel einholen und den verdammten Motor anwerfen, doch der war nicht sehr zuverlässig, und irgendwie gefiel es ihm auch, das Schicksal herauszufordern.
So, wie er es betrachtete, war dies seine Chance, und er würde sie auch ergreifen, verflucht noch mal.
Er stellte sich breitbeinig an den Bug und spähte durch das stärkste Fernglas, das er hatte auftreiben können. Er richtete es auf die Rückseite des weitläufigen alten Hauses im Plantagenstil, das Samantha Leeds jetzt bewohnte.
Dr. Samantha Leeds, rief er sich selbst in Erinnerung. Doktor der verdammten Psychologie. Genug Zeugnisse, um damit die Straße zu pflastern – und um das Recht zu bekommen, gratis Ratschläge übers Radio zu erteilen. Ganz gleich, wem sie damit schadete.
Seine Kiefermuskeln spannten sich an, und er bemerkte eine Bewegung hinter den durchsichtigen Gardinen. Dann entdeckte er sie. Während er wie ein armseliger Voyeur beobachtete, wie sie mit unregelmäßigem Gang durchs Haus spazierte, krallten sich seine Finger um das feuchte, glatte Gehäuse des Fernglases. Er warf einen Blick auf die Uhr. Drei Uhr fünfzehn am Morgen.
Und sie war schön – genauso schön wie auf den Werbefotos, die er von ihr gesehen hatte, vielleicht sogar noch schöner mit ihrem zerzausten roten Haar und nur halb bekleidet. Dr. Leeds trug ein nachlässig zugeknöpftes Nachthemd, das nur knapp bis zur Hälfte ihrer langen, braunen Oberschenkel reichte, und sie ging humpelnd durch das von Tiffanylampen beleuchtete und mit einer Menge alt wirkender Möbel – wahrscheinlich Antiquitäten – ausgestattete Zimmer. Seine Augen wanderten zu dem Gips, der ihren linken Fuß und die halbe Wade umgab. Davon hatte er auch schon gehört. Irgendein Bootsunfall in Mexiko.
Mit zusammengepressten Lippen hielt er das Steuerrad mit einer Hüfte fest und spürte, wie ihm der Regen in den Kragen seines Parkas rann. Eine Bö hatte ihm die Kapuze vom Kopf gerissen und blies ihm das Haar in die Augen, doch ungerührt richtete er das starke Fernglas weiterhin auf das Haus, das tief in
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