Pain - Bitter sollst du buessen
nicht, dass es nur zwei Sorten Mädchen gibt: schlechte und gute. Du wirst deine Selbstachtung verlieren, wenn du diese schändlichen Dinge tust, glaub mir. Sei ein gutes Mädchen. Du wirst es nie bereuen.«
Doch Estelle ließ sich von vielen Jungen küssen, und daraus entstand nichts Schlimmes. Sie küsste sogar ausgesprochen gern, besonders, wenn der Junge seine Zunge in ihren Mund schob. Oh, wie sie diese intimen Küsse im Kopf immer und immer wieder nachempfunden hatte! Als ihre Bekanntschaften weitergingen und die Jungen sie anfassten, die Finger in ihren BH schoben und ihre Brüste streichelten, fühlte sie sich zwar ein bisschen ungezogen, aber sie mochte das Gefühl, wenn ihr Blut kochte, wenn dieses Sehnen zwischen ihren Beinen einsetzte. Und als ein Junge unter ihren Rock griff, in ihren Slip fuhr und sie an dieser intimen Stelle berührte, prickelte es und wurde feucht, und sie wollte mehr. Sie benahm sich wie ein Tier, keuchte und wand sich und begehrte. Sie las schon seit Jahren Liebesromane, unter der Bettdecke versteckt beim Licht einer Taschenlampe, mit heißem Gesicht, während sich zwischen den Beinen dieses komische, sehnsüchtige Gefühl breit machte, das das Verlangen nach mehr weckte, und als sie schließlich anfing, mit Jungen zu schlafen, erkannte sie, dass dieses Verlangen zu stillen war.
Als sie begann, zu experimentieren und einem Jungen – nach der fünften oder sechsten Verabredung und natürlich heißen Liebesschwüren – gestattete, sie zu berühren, wusste sie sehr wohl, dass es eine Sünde war, eine Sünde, die sie dem Priester nicht beichten durfte, aber sie konnte nicht aufhören. Sie genoss es, sehnte es herbei, war sich ihrer niederen Gelüste bewusst und wollte es umso mehr. Im Gegensatz zu den gräulichen Prophezeiungen ihrer Mutter waren die Jungen so aufmerksam, so begierig darauf, sie zu küssen und zu berühren, bereit, ihr zu sagen, wie schön sie sei und wie sehr sie sie liebten.
Dummerweise glaubte sie ihnen.
Sie verlor mit sechzehn ihre Jungfräulichkeit an einen Jungen, der in den Augen ihrer Mutter die perfekte Partie war – und danach traf er sich nie wieder mit ihr, rief sie nie wieder an, aber vor seinen Freunden prahlte er mit seiner Eroberung. Ihre Mutter fragte sie ständig nach Vincent, was denn aus ihm geworden sei, warum sie sich nicht mehr mit ihm verabrede, und sie ahnte plötzlich, was die Prophezeiung ihrer Mutter zu bedeuten hatte.
Von da an wollte jeder Junge mit ihr schlafen. Wenn sie einen abwies, wurde er böse und erinnerte sie daran, dass sie ja auch für Vincent Miller die Beine breit gemacht habe.
In mancher Hinsicht fand Estelle Spaß daran, ihre Mutter zu schockieren. Bis sie sich dann von einem Jungen erweichen ließ, den sie wirklich mochte. Sie schlief mit ihm und wurde schwanger. Eine Abtreibung kam nicht infrage, und da sie noch minderjährig war, überredete ihre Mutter sie dazu, »ein Semester im Ausland an einer Privatschule« einzulegen. In Wirklichkeit reiste sie nur nach Austin, wo sie das Kind bekam und zur Adoption freigab.
»Das ist die sanfteste Lösung«, versicherte ihre Mutter ihr, und Estelle beging den größten Fehler ihres Lebens. Nach der Geburt des Jungen bemerkte sie, wie der Arzt, der ihren Erstgeborenen auf die Welt geholt hatte, sie mit kaltem abschätzigem Blick musterte und den schreienden Jungen ohne Regung einer Schwester reichte, die ihn forttrug.
Estelle gab ihrer Mutter die Schuld an ihrem Schmerz, und kurz nachdem sie nach Houston zurückgekehrt war, lernte sie Oswald Seger kennen. Wally war wenigstens nett. Nahm Rücksicht auf ihre Gefühle. Drängte sie nicht, und am Tag, nachdem sie schließlich miteinander geschlafen hatten, rief er sie an und schickte ihr eine einzelne rote Rose, was ihr für immer in Erinnerung bleiben würde.
Wally hatte neben seiner Liebe zu allem Mechanischen eine romantische Ader, und kaum war Estelle achtzehn, da brannten sie durch.
Zehn Monate später wurde Kent geboren, Annie ein paar Jahre später. Estelles entsetzte Eltern verstießen sie, nahmen sie aber nach der Geburt ihres Enkels wieder in die Familie auf. Und der Rest war, wie man so sagt, Geschichte, eine Geschichte, die Estelle am liebsten vergessen würde. Als die Kinder noch klein waren, wurde ihr klar, dass sie mit einem Arbeiter, der in der Ölfabrik schuftete, niemals glücklich sein konnte, dass Wallys Begeisterung für Motorräder und Boote Hand in Hand ging mit seiner Unfähigkeit, sein Konto gedeckt
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