Pain - Bitter sollst du buessen
aussehen zu lassen, als sie tatsächlich waren.
»Linda«, stellte sich eine Frau mit einer von jahrelangem Zigarettenkonsum heiseren Stimme vor.
»Hi, Linda, möchtest du etwas anmerken oder fragen?« Samanthas Stimme war sinnlich, schwül wie eine heiße Nacht im Mississippidelta.
»Etwas anmerken.«
»Gut, dann schieß los.«
Ty stellte sich ihr Lächeln vor, weiße Zähne, die zwischen vollen Lippen blitzten. Er dachte an ihre Augen, strahlend vor Intelligenz und Unergründlichkeit, die sie meist verbarg. Doch er war ihr auf die Schliche gekommen. Er spürte es. Entnahm es den Zwischentönen dessen, was sie sagte, bemerkte es an ihrem kehligen Lachen, wusste, dass es direkt unter der Oberfläche lauerte. Ihr Beruf erforderte es, dass sie in die Tiefe ging und dadurch ein bisschen von sich selbst preisgab, doch im Medium Radio waren solche Augenblicke selten, und das, was sie ihren Hörern bot, waren eine freundliche Stimme, kluge Äußerungen und scharfen Witz. Nur sehr selten legte sie ihre Seele bloß, aber es war schon vorgekommen.
Nicht, dass es von Bedeutung gewesen wäre. Nicht, dass es ihn interessierte. Sie war einfach nur Teil seiner Recherche; ein bedeutsamer Teil.
»Ich bin der Meinung, Monogamie ist eine gesellschaftliche Regel, und da wir alle im Grunde Tiere sind, ist Monogamie ein Irrtum.«
»Ist das deine persönliche Erfahrung oder deine Meinung zu dem üblichen Lebensstil?«, forderte Sam die Anruferin subtil heraus.
»Wohl beides.« Linda räusperte sich.
»Möchtest du das ein bisschen weiter ausführen?«
»Ich habe nur gesagt, wie es ist.«
»Will sich sonst jemand zu Lindas Standpunkt äußern? Linda, bleib bitte noch in der Leitung«, verlangte Dr. Sam, die augenscheinlich eine Art Kontroverse anstrebte, etwas, das das Publikum zum Zuhören und Reagieren animierte, der eigentliche Grund, warum George Hannah sie angeworben und ihr diese Sendung gegeben hatte. Ty kannte Hannah gut genug, um zu wissen, dass dem Kerl die Zuhörer völlig egal waren – ihn interessierten nur die Zahlen, damit er Werbezeit verkaufen konnte. George Hannah hatte sich offenbar an die Zeit in Houston erinnert und war sich im Klaren darüber, wie das Publikum auf Samantha Leeds ansprang, und daraus schlug er Kapital. Eleanor Cavalier ebenfalls, wenn sie auch raffinierter vorging.
»Sicher, mach ich. Kein Problem …«, sagte Linda.
»Hallo, hier spricht Dr. Sam.«
»Und hier ist Mandy. Linda liegt völlig falsch. Monogamie ist der Wille des Herrn, und wenn sie das nicht glaubt, soll sie mal einen Blick in die Bibel werfen! Mit den Zehn Geboten könnte sie anfangen!«
»Bist du verheiratet, Mandy?«
»Aber sicher. Seit fünfzehn Jahren. Carl und ich, wir waren schon in unserer Highschoolzeit zusammen. Wir haben drei Söhne und haben Höhen und Tiefen erlebt, aber wir halten zusammen. Jeden Sonntag gehen wir in die Kirche und …«
Gedankenverloren streichelte Ty den breiten Kopf seines Hundes und konzentrierte sich auf das Rededuell im Radio.
Dr. Sam sprach mit ein paar weiteren Hörern, und die Diskussion über Treue und Ehe wurde immer lebhafter. Tys Augen wanderten zum Telefon, einem glänzenden Apparat mit Wählscheibe aus einem anderen Jahrhundert, das er mit dem Haus übernommen hatte. Langsam trank er seinen Whiskey und ließ ihn genüsslich über die Zunge fließen. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen Dutzende von Notizzetteln, bekritzelt mit zusammenhanglosen Gedanken, mit Tatsachen, die sich nicht zusammenfügten, mit immer und immer wieder umkringelten Fragen, auf die er Antworten suchte. Er wollte eine Geschichte schreiben, die ihn schon lange, sehr lange beschäftigte. Schon seit der Zeit, als er bei der Polizei in Houston gearbeitet hatte.
Auf einer Ecke von Milo Swansons Schreibtisch stand Tys Laptop und wartete darauf, dass Ty seine Notizen eintippte.
Aber an diesem Abend war sein Kopf wie leer gefegt, und er wusste auch, warum. Er war blockiert – diese verdammte Schriftstellerkrankheit, die einen ohne die kleinste Vorwarnung befallen konnte.
Es gab nur eine Möglichkeit, diese Blockade zu durchbrechen.
Er musste der guten Frau Doktor persönlich gegenübertreten.
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7 . Kapitel
F inden Sie heraus, was mit Samantha Leeds geschieht.« Melinda Jaskiel reichte Rick Bentz das Protokoll. »Sie ist Moderatorin – Radiopsychologin, und sie sagt, sie wird belästigt.«
»Ich habe schon von ihr gehört«, gab Bentz zu. »Meine Tochter hört sich ihre Sendung manchmal an.« Er
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