Pain - Bitter sollst du buessen
ihr tatsächlich etwas anzutun. Doch in Wahrheit litt sie Todesängste.
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8 . Kapitel
»… und deshalb sehe ich meinen Alten nie«, erklärte Anisha mit finsterer Miene. Sie gehörte zu den sechs Mädchen, die zur Sitzung erschienen waren, und lümmelte mit gekreuzten Knöcheln und düsterem Gesichtsausdruck in einem alten Lehnstuhl. Nervös wickelte sie eine Locke ihres schwarzen Haars um den Finger. »Das sollte ich wohl auch nicht erwarten.«
»Hast du versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen?«
»Im Gefängnis?« Anisha schnaubte durch die Nase. »Warum sollte ich?« Ihr Lächeln war entschieden zu zynisch für ihre fünfzehn Jahre. »Ich habe doch einen Stiefpapa gekriegt. Meinen dritten.«
Und so ging es weiter. Sechs gestörte Mädchen, alle problembeladen, alle mit tonnenweise schlechten Erfahrungen im Gepäck, und alle versuchten in verschiedenen Abstufungen, ihr junges Leben aufs richtige Gleis zu bringen.
Die Sitzung fand in einem alten, runderneuerten Haus nicht weit vom Louis-Armstrong-Park statt. Es war früh am Abend, die Sonne schickte sich gerade an unterzugehen. In dem kleinen Raum war es heiß, die Jalousie war halb geöffnet und ließ einen Hauch frischer Luft sowie den Verkehrslärm von der Rampart Street ein. Trotz des Ventilators, der auf einem Tisch in der Ecke rotierte, klebte Sams Bluse an ihrem Rücken.
Die Mädchen hingen lässig in alten Sesseln und auf einem Sofa herum. Einige redeten davon, auf der Schule zu bleiben, andere planten, wieder zur Schule zu gehen oder Abendkurse zu belegen, denn sie hatten bereits Kinder. Ein paar von ihnen brachten die Sprache auf die Benefizveranstaltung fürs Boucher Center; sie waren aufgeregt und freuten sich auf das Event. Nur Leanne saß ungewöhnlich schweigsam neben Samantha und grübelte offensichtlich, als hütete sie ein Geheimnis, wenngleich Sam vermutete, dass dies Leannes Art war, Sam für ihre fast dreiwöchige Abwesenheit zu bestrafen.
»Hast du etwas auf dem Herzen?«, fragte sie das Mädchen, als eine Gesprächspause eintrat. »Etwas, worüber du reden möchtest?«
Leanne zuckte mit einer Schulter. Sie war ein hübsches Mädchen mit porzellanweißer Haut, braunem Haar und grünen Augen. Im Moment spielte sie mit den Wedeln eines Farns und gab sich bemüht desinteressiert.
»Sie ist bloß sauer, weil sie und Jay Schluss gemacht haben«, erklärte Renee, ein korpulentes schwarzes Mädchen, Kaugummi kauend.
»Stimmt ja gar nicht!«, schleuderte Leanne ihr entgegen und unterbrach ihr Spiel mit der Pflanze lange genug, um ihre Freundin mit einem bösen Blick zu durchbohren. Verräterische Röte kroch an ihrem Hals hinauf bis zu den mit einem Dutzend Metallstücken gespickten Ohren.
»Sie ist wieder auf Droge«, fügte Renee hinzu und zog wissend eine dunkle Braue hoch.
»Stimmt das?«
»Nur, als Jay und ich uns getrennt haben. Ich wollte es so.« Leanne hob trotzig das Kinn. »Er hat versucht, mich zu kontrollieren.«
»Weil er nicht wollte, dass du diese Scheißdrogen nimmst«, sagte Renee.
»Ich lass mich von niemandem kontrollieren.«
»Ja, ja«, höhnte Renee und verdrehte die Augen.
Sam hob eine Hand. »Hören wir uns an, was Leanne zu sagen hat.«
»Ich habe überhaupt nichts zu sagen«, wehrte das Mädchen ab, verschränkte die dünnen Arme unter der Brust und wandte sich demonstrativ von Sam ab. Sie schoss noch einen vernichtenden Blick auf Renee ab. »Und du, halt einfach die Klappe. Es geht dich nichts an.«
»Vielleicht sollten wir alle mal darüber nachdenken«, mischte sich Sam ein und entschärfte den Streit, bevor er außer Kontrolle geraten konnte. »Wir sprechen auf der nächsten Sitzung darüber. Jeder überlegt sich zu Hause mal, wann man Grenzen überschreitet. Inwieweit sollte man einem Freund Freiraum lassen? Wann muss man eingreifen? Was sind die Konsequenzen? In Ordnung?«
Murrend standen die Mädchen auf.
»Wir sehen uns nächste Woche, und falls ihr zufällig Colette trefft, bittet sie zu kommen.«
»Colette ist umgezogen«, berichtete Renee. »Nach Tampa.«
Das war Sam neu. Die Mädchen waren angehalten, ihr Bescheid zu geben, wenn sich etwas an ihren Lebensumständen änderte. Doch die wenigsten hielten sich daran.
Miteinander plaudernd klaubten die Mädchen ihre Bücher, Rucksäcke und Taschen zusammen und liefen dann mit ihren Plateausohlen polternd die Holztreppe hinunter. Leanne blieb zurück, im Augenblick durch Renee aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Immer wenn Leanne in Ungnade
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