Pain - Bitter sollst du buessen
wässrig blau schimmerten und nur wenig Verkehr herrschte.
»Tu ich das denn?«
Als er an einer Ampel abbremsen musste, schaute er sie von der Seite an, und ihr blieb beinahe das Herz stehen. Er hatte so etwas an sich, etwas, das sie nicht recht einzuordnen wusste und das sie zur Vorsicht mahnte, und dennoch konnte sie ihm nicht widerstehen, konnte nicht anders, als ihm zu vertrauen. Als es im Wageninneren vom Schein der Ampel rot leuchtete, begegnete sie seinem Blick und erkannte Verheißungen in seinen Augen, die zu entschlüsseln sie sich weigerte.
»Man könnte den Eindruck gewinnen.« Sie zwang sich trotz ihres Herzrasens zur Ruhe und hob einen Finger. »Du hast beim Sender angerufen, nachdem ich diesen sonderbaren Anruf von Annie bekommen hatte.« Ein zweiter Finger schnellte in die Höhe. Die Ampel sprang auf Grün, und Sam betrachtete sein Profil – energisches Kinn, tief liegende Augen, hohe Stirn, schmale Wangen, zusammengepresste Lippen. Im selben Moment fragte sie sich, wie es sein würde, ihn zu küssen … ihn zu berühren … Der Wagen schoss nach vorn. »Du hast vor dem Rundfunkgebäude auf mich gewartet.« Als Ty um die letzte Kurve bog und in eine Parklücke hinter seinem Volvo einscherte, kam ein dritter Finger hinzu. »Du hast Melanie und mich zum Parkhaus begleitet.« Ihr kleiner Finger zuckte nach oben. »Du hast den Wagen überprüft und mich hierher gebracht. Und …«, sie streckte den Daumen und hielt ihm die Hand mit den gespreizten Fingern vor die Nase, »… und du willst auf dem Heimweg hinter mir herfahren.«
Er schaltete in den Leerlauf und griff dann nach ihrer Hand. Harte, warme Finger umspannten ihre. »Und«, gelobte er feierlich, »ich werde dich, wenn wir angekommen sind, ins Haus begleiten.«
»Das ist nicht nötig …«
»Ich möchte es aber, okay?« Sein undurchdringlicher Blick hielt den ihren fest, und seine Hand drückte kräftiger zu. »Ich würde es mir nie verzeihen, Samantha, wenn dir etwas zustoßen sollte. Wir können hier auch noch die ganze Nacht über sitzen bleiben und streiten, aber ich bin der Meinung, wir sollten nach Hause fahren. Es ist spät.«
Sie schluckte krampfhaft. Befreite ihre Hand. »Gut.«
Er lächelte schief. »Ich nehme dich beim Wort.« Damit hastete er aus dem Wagen, lief zu seinem Volvo und stieg ein. Als Sam über den Steuerknüppel hinweg hinters Lenkrad kletterte, leuchteten seine Bremslichter auf. Nachdem sie die Sitzhöhe eingestellt hatte, trat sie aufs Gas und sah im Rückspiegel, wie sich der Volvo vom Straßenrand löste und ihr folgte.
Ty Wheeler hatte sich anscheinend tatsächlich zu ihrem Leibwächter ernannt.
Ob sie es wollte oder nicht.
[home]
14 . Kapitel
A uf dem Heimweg schaltete Sam das Radio ein, erwischte noch das Ende der Sendung »Licht aus« und fuhr durch die verlassenen Straßen in Richtung See, durch die kleine Gemeinde Cambrai. Ihr begegneten nur wenige Fahrzeuge, die Scheinwerfer allesamt aufgeblendet, doch ihre Aufmerksamkeit galt in erster Linie dem Rückspiegel und den Doppelstrahlen von Tys Volvo. Was dachte er sich? Warum machte er ihr Problem zu seinem? Was wollte er von ihr? Sie bog in ihre Straße ein. Plötzlich misstraute sie ihm. War der Motor seines Bootes tatsächlich defekt gewesen?
»Hör auf«, grollte sie, lenkte den Mustang in ihre Zufahrt und drückte den Knopf des automatischen Garagentoröffners. Sie war müde, mit den Nerven am Ende, die Angst setzte sich in ihr fest. Das Tor glitt in die Höhe, und sie fuhr in die Garage hinein. Sie war früher eine Remise für Kutschen gewesen, in den Zwanzigerjahren jedoch so umgebaut worden, dass pferdelose Gefährte darin untergebracht werden konnten. Später war noch ein verglaster Gang hinzugefügt worden, der die Garage mit der Küche verband. Als Sam aus dem Wagen stieg, kreuzte Tys Volvo auf der Zufahrt auf. Sekunden später war er ausgestiegen und folgte ihr ins Haus.
»Keine Widerrede«, ermahnte er Sam, als er sah, dass sie protestieren wollte. »Ich will erst einmal das Haus durchsuchen.«
»Es war abgeschlossen.«
»Der Wagen auch.«
Er trat vor ihr durch die Tür und schritt den Glasgang entlang, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Im Haus angelangt, stellte Sam die Alarmanlage aus, die sie ausnahmsweise einmal aktiviert hatte. Immer wieder hatte sie es vergessen; sie war einfach nicht daran gewöhnt, sie einzuschalten. In dieser Nacht schien das lästige Ding glücklicherweise zu funktionieren, aber Ty gab sich damit
Weitere Kostenlose Bücher