Pakt der Könige
Ich weiß, dass Ihr versucht habt, mich daran zu hindern, mein Urteil über das Bergwerk zu fällen. Ich weiß, was Ihr mit der verurteilten Sklavin getan habt! Ihr habt nichts dazu zu sagen!«
Von neuem legte sich die Stille wie eine Decke über die Ratsversammlung.
»Die Befehlshaber müssen gewiss ihre Taktik besprechen«, sagte Laosimba. »Ich werde umgehend eine Nachricht nach Reynes schicken, um meine Entscheidung bekannt zu machen. Die Versammlung ist beendet.«
Kapitel 11
Marikani marschierte mit großen Schritten durch die gewaltigen Säle des Palasts, ohne zu wissen, wohin sie ging. Die Gesichter der Leute, denen sie begegnete, überlagerten sich in einem verschwommenen Nebel. Musik klang ihr in den Ohren, ein schwerer, heftiger, vertrauter Rhythmus - ihr Herzschlag, nein, das Dröhnen der Kreatur oder der Takt des Tanzes der Raubkatzen … Und sie lief nicht, sie tanzte, so sagte sie sich, als sie die Höfe überquerte, während sich rings um sie ein Ballett der Vorüberkommenden entfaltete, aus Boten, Höflingen, Dienern. Sie alle trugen Masken, Raubkatzenmasken, und sie tanzten, tanzten immer weiter, bleckten die Zähne, während die Kreatur lachte …
Von heftiger Übelkeit übermannt, lehnte sie sich gegen eine niedrige Mauer und krümmte sich vor Schmerzen. Sie versuchte, sich zu übergeben, aber es kam nichts. Es war nur die Angst. Die Angst, die ihr wie ein Schraubstock den Magen zusammenpresste und ihr echte, überwältigende, körperliche Schmerzen verursachte.
Ohne zu wissen, wie sie dorthin gelangt war, fand sie sich zitternd auf der Straße wieder. Sie ging einfach geradeaus, quer über den Bürgersteig der Freien und den Graben
der Sklaven, ohne es so recht zu bemerken, trat auf frische Leichen aus der vergangenen Nacht, ging auf die andere Seite der Straße und immer weiter, ohne auf die erstaunten Blicke der Passanten zu achten. Alle Sklaven, die älter als fünf Jahre waren … War sie gezeichnet? Konnte man es ihrem Gesicht ansehen?
Ich darf das nicht geschehen lassen , dachte sie und ließ sich zu Boden sinken, gleich neben dem Sockel der Statue der Liysossa. Sie war die Nymphe der Goldquelle und eine der bevorzugten Gottheiten der Einwohner von Salmyra. Ich darf das nicht geschehen lassen , wiederholte sie, aber dem Gedanken wohnte keinerlei Energie inne, keine Kraft. Sie hatte zu viel Angst. Die Angst hatte sie herabgewürdigt, klein gemacht. Es gelang ihr nicht mehr, zu denken. Sie musste kämpfen, sich des schwarzen Schleims entledigen, der ihr in den Geist gedrungen zu sein schien und ihr Herz, ihre Entscheidungen, ihre Kraft lähmte. Die Kreatur hat mich verhext , dachte sie, aber das ergab keinen Sinn. Sie wusste, was Hexerei war: ein paar hohle Worte, ein paar Kunststückchen mit dem Schleier, Rauch … Und sie hatte schon lange davor Angst gehabt …
Doch das Entsetzen und das Geschöpf der Abgründe trugen dasselbe Gesicht. Die feurigen Augen des Wesens, das sie in der Oase gesehen hatte, hatten sich Marikani ins Gedächtnis gebrannt, und sie schrumpfte unter diesem Blick zusammen, verlor sich …
Ich darf das nicht geschehen lassen , dachte sie, aber andere Worte kamen ihr über die Lippen: »Das schaffe ich nicht allein.«
»Was?«, fragte eine Frauenstimme neben ihr. »Marikani? Was sagst du da?«
Marikani schlug die Augen auf. Über sie gebeugt stand
in einem orangefarbenen Umstandskleid eine Gestalt, die dick geworden war; ihre große Augen waren für manchen Geschmack zu hell, ihr Gesicht besorgt …
»Lionor«, seufzte sie.
»Marikani«, wiederholte Lionor und schüttelte sie. »Was ist? Fühlst du dich nicht gut? Ich habe dich auf die Straße laufen sehen … Bist du krank?«
»Nein.« Marikani biss sich auf die Lippen, stützte sich an der Statue ab und kam auf die Beine. »Nein. Ich …«
Wie sollte sie ihr das erklären? Wie konnte sie in einfachen Sätzen die schiere Abscheulichkeit dessen zum Ausdruck bringen, was geschehen würde?
»Hast du Arekh gesehen?«, fragte Lionor. »Ist es das?«
Marikani starrte sie mit leeren Augen an und musste dann leise lachen, als sie sich erinnerte. In der Panik der vergangenen Nacht hatte sie Arekhs Namen gehört und begriffen, dass er hier Offizier war. Es hatte ihr wenig genützt, im Voraus zu wissen, dass eine große Wahrscheinlichkeit bestand, ihm im Rat zu begegnen: Sie hatte einen Schock erlitten, als sie ihn gesehen hatte. Die Enttäuschung, die Bitterkeit und der Kummer, die sie verspürt hatte, als er
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