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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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    Pala schlug die Augen nieder.
    Giuseppe nahm ihre Hand und spürte, wie sie zitterte. »Du weißt nicht, ob du deinen Gefühlen trauen kannst, stimmts?«
    Sie begann nun doch zu schluchzen, nickte zwei-, dreimal und erwiderte mit hängendem Kopf: »Als ich vor ein paar Stunden von zu Hause weggelaufen bin, glaubte ich meine Adoptiveltern hassen zu müssen, weil sie mich jahrelang belogen haben.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
    »Aber das ist doch gut.«
    »Gar nichts ist gut! Sie haben sich gestritten und von Scheidung gesprochen – alles fällt auseinander…«
    »Ich würde diese Tür noch nicht zuschlagen, Pala. Sie könnte dir den Weg aus deinem Treppenlabyrinth zeigen. Du hast schon Recht, es gleicht diesem hier: Einige Stufen führen ins Herz der Liebe, andere auf den eisigen Gipfel des Hasses, und zwischendrin gibt es viele verwirrende Abzweigungen. Der richtige Weg aus dem Irrgarten deiner Gefühle muss nicht unbedingt auch der leichteste oder nächstliegendste sein.«
    Den Kopf nicht mehr als nötig hebend, blickte Pala in Giuseppes Gesicht. »Willst du damit sagen, ich soll mich wie du meinen eigenen Fehlern stellen?«
    »Du kannst sie ja Irrtümer nennen, wenn dir dabei wohler ist. Wer so heftige und widersprüchliche Gefühle in sich spürt wie du, der kann sich leicht in falsche Schlussfolgerungen – wie hast du es vorhin genannt? – versteigen.« Giuseppe lächelte aufmunternd. »Womit wir wieder bei unserem Treppenlabyrinth wären. Ich schlage vor, wir suchen jetzt erst einmal den Ausgang aus dieser Höhle hier. Und anschließend stellen wir Zitto zur Rede. Wenn mich mein Gespür nicht trügt, dann ist er der Schlüssel zur Lösung einer Menge von Problemen.«
    Pala nickte. Einen Moment lang schien der Boden unter ihren Füßen in Bewegung zu geraten. Erschrocken krallte sie sich an Giuseppes Weste fest.
    »Geht’s dir gut?«, fragte der besorgt.
    »Mir ist, als säße ich in einem Zug, der gerade in Fahrt kommt.«
    »Also, ich merke nichts. Du bist schon lange auf den Beinen und musst erschöpft sein. Kaum verwunderlich, wenn dir da schwindlig wird. Wollen wir einen Moment ausruhen?«
    Pala schüttelte den Kopf. »Es geht schon.« Sie wischte sich mit dem Handrücken die letzten Tränen aus den Augen. Mit einem Mal fiel ihr Blick auf die Treppe unter ihnen. »Giuseppe, schau nur!«
    Seine Augen folgten ihrem deutenden Arm und schienen plötzlich zu wachsen. »Ich kann das Ende der Stufen sehen, ganz nah! Der Steg mündet wieder in einen Tunnel. Warum ist uns das vorher nicht aufgefallen?«
    Sie zuckte die Achseln und deutete in die entgegengesetzte Richtung nach oben. »Hast du das auch schon gesehen?«
    Giuseppe starrte in eine undurchdringliche Schwärze. »Was?«
    »Genau das meine ich. Da ist nichts. Alle deine glimmenden ›Bindfäden‹ sind verschwunden. Und die Kerze in deiner Hand wird uns auch nicht mehr lange nützen. Lass uns nachsehen, wohin der Gang führt, ehe wir blind durch diesen Irrgarten tappen.«
     
     
    Pala konnte die überraschende Entdeckung nicht so leichthin abtun, wie sie sich den Anschein gegeben hatte. Sie war überzeugt, vor ihrem Gespräch über die Lebenslabyrinthe noch eine sich endlos in der dunklen Tiefe verlierende Treppe gesehen zu haben. Und nun war da mit einem Mal dieser Tunnel.
    Der breite Stollen gestattete ihr neben Giuseppe herzugehen. Der Erzähler hatte seinen beängstigend zusammengeschrumpften Kerzenstummel auf einem langen Steinsplitter befestigt, um sich am heißen Talg nicht die Finger zu verbrennen. Nach wenigen Schritten weitete sich der Gang zu einer lang gestreckten Höhle aus, die von einem lauten Rauschen erfüllt war. Der vorher schon erahnte Fluss toste hier durch die finstere Tiefe. Plötzlich erlosch die Kerze.
    Giuseppe und Pala blieben sofort stehen. »Das war’s dann wohl«, knurrte er und sie jammerte: »O nein! Kannst du sie nicht wieder anzünden?« Woraufhin er anmerkte: »Ich habe mein letztes Streichholz auf der Treppe verbraucht. Jetzt sitzen wir schön in der Klemme.« Es entstand eine kleine Pause. Dann drang wieder Palas Stimme aus der Dunkelheit, auffallend verheißungsvoll.
    »Vielleicht auch nicht.«
    »Was soll denn das nun wieder bedeuten?«
    »Sieh doch mal da vorne.«
    Giuseppes Augen durchforschten die Dunkelheit. Mit einem Mal entdeckte er einen kaum wahrnehmbaren Schimmer, womöglich nur eine Sinnestäuschung, der verzweifelte Versuch seines gequälten Bewusstseins sich

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