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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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egal. Hauptsache, wir kommen hier bald wieder heraus«, unterbrach ihn Pala gereizt.
    »So groß ist der Schlossberg nicht, Schwesterchen«, erwiderte Giuseppe beschwichtigend.
    »Das habe ich bei Zittos Mauer auch gedacht.«
    Der Geschichtenerzähler blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu Pala um. »Willst du damit andeuten…?«
    Sie nickte mit düsterer Miene. »Wer einen Steinwall endlos in den Himmel wachsen lassen kann, der ist auch dazu fähig, im dunklen Herz der Erde ein unermessliches Netz von Stufengängen auszuspannen. Weißt du, woran ich gerade denken muss?«
    »Ja, sobald du es ausgesprochen hast.«
    »Unsere eigene Seele ist manchmal auch wie dieses Labyrinth hier: Man kann sich darin allzu leicht versteigen, und wer nicht Acht gibt, irrt ein Leben lang in ihm herum.«
    »Wem sagst du das!«, seufzte Giuseppe. Das flackernde Kerzenlicht konnte die Schatten tiefer Traurigkeit aus seinen Augen nicht vertreiben. »Mir und meinem Vater wäre es beinahe so ergangen.«
    »Nonno Gaspare?«, fragte Pala ungläubig.
    Giuseppe hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Er hat für das Geschichtenerzählen gelebt. Ihm sei es bestimmt, sagte er mir einmal, auf diese Weise sogar störrischen Menschen göttliche Weisheiten zu schenken. Seinen farbigen Beschreibungen konnte sich keiner entziehen. Bis er seine Leichtigkeit verlor.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gab da etwas, das ihn von Jahr zu Jahr mehr bedrückte. Niedergeschlagenheit lässt sich nicht ewig verbergen, schon gar nicht, wenn man ein Geschichtenerzähler ist.«
    »Solange dein Bruder Primo noch in der Stadt wohnte, habe ich Nonno Gaspare immer für den glücklichsten Menschen der Welt gehalten. Er hat mich seine Traurigkeit nie spüren lassen.«
    Giuseppe lächelte Pala aus seinen großen Jungenaugen an. »Du warst ja auch sein kleiner Schatz, Schwesterlein. Er hat alle Kinder gemocht, weil in ihnen noch jene Gabe zum Staunen und vor allem zum Glauben lebt, die den meisten von uns längst verloren gegangen ist. Aber dich liebte er besonders.«
    Pala spürte, wie ihr zerschlissenes Nervenkostüm neue Tränen durchsickern ließ. Also war sie doch nicht, wie Dottore Stefano einmal angedeutet hatte, nur irgendeines jener Küken, die mit ihren aufgerissenen Schnäbeln Nonno Gaspare einen Geschichtenwurm entlocken wollten. Er liebte seine »kleine Pala«. Als diese Erkenntnis nun ihren Körper wie ein warmer Trunk durchströmte, lebte sie geradezu auf. Mit einem Zipfel des Kleidersaums trocknete sie ihre Augenwinkel und sagte: »Es war lieb, mir das zu sagen, Giuseppe. Dabei wolltest du mir doch erzählen, warum Nonno Gaspare so niedergeschlagen war.«
    Giuseppes gespreizte Finger der linken Hand durchkämmten sein Haar und mit einem tiefen Seufzer löschte er versehentlich fast die Kerze in der Rechten. »Ich kann dir nur das Bild in meinem Kopf beschreiben, das die Wirklichkeit möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben versucht. Du hättest es vermutlich ganz anders gemalt, Pala. Um es überhaupt so weit zu bringen, musste ich erst mit mir selbst ins Reine kommen, und das war alles andere als leicht. Du solltest wissen, uns Oratores – ich schließe mich da nicht aus -liegt das Streben nach Vollkommenheit im Blut. Gaspare hat unter diesem Erbe zuletzt sehr gelitten. Seine Geschichten mussten einzigartig sein, der Vortrag fehlerlos, die Sprache ohne jeden Makel, andernfalls war er nicht zufrieden. Sein Leben lang hatte er, wie er selbst sagte, nach den ›vollkommenen Worten‹ gesucht, doch sie nie gefunden. Für mich ist er der größte lebende Geschichtenerzähler, doch selbst für einen solchen gibt es Grenzen.«
    »Aber die hat doch jeder Mensch.«
    »Gaspare Oratore konnte sehr unduldsam sein, zuallererst gegen sich selbst. Er wollte mit seinen Geschichten das Herz aller Zuhörer anrühren, sie ohne Ausnahme in Bann schlagen. Irgendwann muss er sich bei der Wiederholung einer abgedroschenen Redewendung ertappt haben. Er geriet in Panik. Dann benutzte er unabsichtlich einen Handlungsfaden, den er schon früher einmal verwoben hatte. Als ihm sein Missgeschick bewusst wurde, geriet er in Zorn. Seine Gereiztheit konnte auf lange Sicht kaum unbemerkt bleiben und es kam, wie es kommen musste.«
    Pala schüttelte den Kopf, weil ihr Herz nicht glauben wollte, was ihr Verstand sagte. »Die Menschen fingen an ihn zu meiden.«
    Giuseppe nickte traurig. »Einsamkeit ist der Lohn der Unduldsamen. Wer sich selbst im Streben nach Vollkommenheit niemals

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