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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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an den Nachglanz der erloschenen Kerzenflamme zu klammern -doch das schwache Leuchten blieb ihm treu.
    »Kann das schon der Ausgang sein?«, fragte Pala hoffnungsvoll.
    »Das werden wir gleich wissen«, antwortete Giuseppe und setzte sich wieder in Bewegung.
    Mit tastenden Schritten liefen sie auf das graue Licht am Ende des Tunnels zu. Bald nahm es klare Umrisse an und sie konnten schneller gehen. Es war tatsächlich ein gemauerter Durchlass. Er mündete offenbar in ein weiteres Gebäude, denn man konnte auch dahinter Mauerwerk erkennen, große, sauber aufeinander geschichtete Steinquader. Ein banger Gedanke schlich sich in Palas Zuversicht.
    »Wir werden doch nicht wieder im Kloster herauskommen?«
    Giuseppe schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    Endlich erreichten sie den Durchgang. Früher musste ihn eine Tür verschlossen haben, aber nun ragten nur rostige Angeln aus dem Stein. Dahinter befand sich ein zwar hoher, aber im Durchmesser eher kleiner achteckiger Raum, der in keinem sehr guten Zustand war. Auf dem Mosaikfußboden lagen Trümmer herum. Letzte Reste ehemals bunter Glasfenster mühten sich mit mäßigem Erfolg, einem grauen Himmel etwas mehr Freundlichkeit zu verleihen. Zäh strömte das aschfahle Licht herein und ließ unzählige Staubkörnchen matt erstrahlen.
    Pala wunderte sich. Der Helligkeit nach zu urteilen, musste es bereits später Vormittag sein. Wie schnell die Zeit unter der Erde vergangen war! »Ist es das, was ich vermute?«, fragte sie ahnungsvoll.
    Giuseppes Augen durchwanderten noch den Raum. Sich mit den Fingern durchs schwarze Lockendickicht fahrend, antwortete er: »Das könnten die Überreste des Baptisteriums sein.«
    »Der Taufkapelle?«, jammerte Pala. »Dann sind wir also tatsächlich wieder im Kloster gelandet?«
    »Kennst du den Grundriss der Anlage?«
    »Ehrlich gesagt bin ich viel zu durcheinander, um mich genau erinnern zu können.«
    Giuseppe grinste. »Das Baptisterium lag aus einem mir unbekanntem Grund schon immer jenseits der Mauer, die an dieser Stelle früher nicht so hoch und außerdem von mehreren Toren durchbrochen war. Da drüben kommen wir übrigens heraus.« Er fasste Pala bei der Hand und zog sie hinter sich her.
    Der direkte Weg zum Ausgang führte über zerklüftete Trümmer, die schon vor langer Zeit von der Kuppeldecke des kleinen Taufhauses gefallen sein mussten. Als das Paar endlich ins Freie trat, bestätigte sich Giuseppes Annahme. Sie befanden sich tatsächlich im Schlossgarten.
    In Zittos Reich!
    Pala konnte es noch gar nicht fassen. Sie erhob die Augen zum Himmel und wünschte sich das eine oder andere Mottenloch in dieser grauen Wolkendecke. Die warme Luft hier draußen war unangenehm schwül. Den Blick wieder senkend, wunderte sie sich über die sonderbare Ferne der Burg. Der quadratische Hauptturm reckte sich trutzig den Wolken entgegen. Bald würde der Wiederaufbau des alten Herrschersitzes abgeschlossen sein. Nur an wenigen Stellen klafften noch Breschen in der inneren Festungsmauer. Hier und da fehlten ein paar größere Stücke in den Gebäuden, wie wenn ein Riese sie herausgebissen hätte. Bauarbeiter waren keine zu sehen.
    Als Palas Augen den Berg hinabwanderten, begegneten sie ordentlich gestutzten Hecken, saftig grünen, in der Form von Buchstaben beschnittenen Laubbäumen, einer frisch gemähten Rasenfläche, kiesbestreuten Wegen und sogar einem kleinen Bach, der etwa einen Steinwurf unterhalb der Burg entsprang. Aus der Ferne hatte der Hang zwischen der äußeren und inneren Burgmauer immer einen eher verwahrlosten Eindruck gemacht.
    Der mit den Augen unternommene Rundgang endete bei Giuseppe, dessen Blick noch irgendwo hoch oben zwischen den Burggebäuden herumirrte. Zum ersten Mal seit vielen Jahren konnte Pala ihren Freund bei Tageslicht betrachten. Wenn sie sich recht erinnerte, musste er vor einigen Wochen einundzwanzig geworden sein. Seine Haut war sonnengebräunt. Das Haupt ruhte auf einem langen Hals, dessen Mitte ein prachtvoller Adamsapfel zierte. Über der linken Augenbraue entdeckte sie eine längliche Narbe, die sie noch nicht kannte. Von der Seite betrachtet erinnerte er sie an eines der Standbilder aus dem Stadtmuseum für Altertümer. Es hatte einen jungen Feldherrn dargestellt: ausdrucksvolles Gesicht, ernste Miene, Augen, die bereits erobert hatten, was erst noch in Besitz zu nehmen war. Der Sohn des großen Gaspare Oratore trug ein helles Leinenhemd, eine rehbraune Wildlederweste und eine weite,

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