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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Fischlein kann ich nichts entdecken, was irgendwie gefährlich aussieht, schon gar keine Haie.« Giuseppe machte Anstalten seinen Antilowen ins Wasser zu lenken, aber Pala hielt ihn zurück.
    »Warte! Ich will erst etwas ausprobieren.«
    »Probieren geht über studieren!«, frohlockte Tozzo über ihr.
    Giuseppe warf ihm einen wüsten Blick zu und Pala näherte sich vorsichtig dem Bach. Wie ein Fischreiher hob sie langsam das rechte Bein, schob es vor und ließ ihren großen Zeh einen Moment lang über der Wasseroberfläche verharren. Der Bach beachtete sie nicht und gurgelte munter weiter. Als sie hierauf die Fußspitze in das Gewässer sinken ließ, schnappte die Falle zu.
    Aus dem friedlichen Bächlein wurde unvermittelt ein reißender Wildbach. Wie das Deck eines sinkenden Schiffes tauchte sein eben noch so flaches Bett in die Tiefe. Ohne hierbei nennenswert an Breite zuzunehmen, schwoll das Wasser an und umschlang mit eiskalten Klauen Palas Beine. Sie schrie. Tozzo kreischte. Giuseppe brüllte. Pala begann zu wanken. Mit windmühlenartigen Armbewegungen kämpfte sie um ihr Gleichgewicht. Das Wasser ging ihr schon bis zur Brust. Ein glitzerndes Z schnellte mit kraftvollem Flossenschlag aus dem Nass und schnappte scharfzahnig nach ihrer Nase. Der Verratfisch ging nur deshalb leer aus, weil die Strömung ihr in diesem Moment den Boden unter den Füßen entzog.
    »Bleib hier!«, rief Giuseppe und packte sie, gerade noch rechtzeitig, am Handgelenk. Der Bach brüllte wie eine wilde Bestie. Ein X verbiss sich in Palas Kleid, dicht bei ihrer Kehle. Sie schrie! Mit Mühe konnte der Erzähler auch ihren zweiten Arm einfangen. Der wütend brodelnde Strom ließ Palas Beine hin und her schlagen. Hier und da schnellten Silberlinge aus der Gischt.
    Giuseppe war nahe daran, selbst ins feuchte Element gezogen zu werden. Seine Füße rutschten auf das Wasser zu, kämpften sich in den losen Kieseln wieder ein Stück zurück, rutschten abermals…
    »Leokapi!«, schrie Pala.
    Keinen Augenblick zu spät. Giuseppe hatte den Kampf gegen die Wasserbestie schon für verloren erklärt, als weiche Lippen sehr geschickt nach seiner Lederweste tasteten und sich gleich darauf spitze Zähne darin festhakten. Der Antilowe Leokapi hatte nur auf eine Anweisung seiner Herrin gewartet; auf ihren Hilferuf hin war er sogleich zur Stelle. Verfolgt von den aufmerksamen Blicken seines Bruders Emilio und aus der Luft angefeuert von Tozzo schleppte er den Mann und das Mädchen weit die grasbewachsene Böschung hinauf. Erst als ihm Pala Einhalt gebot, ließ der Antilowe Giuseppes Weste los.
    »Das war knapp, Schwesterchen!«, keuchte Giuseppe. Er lag erschöpft im Gras und Pala hing noch immer in seinen Armen. Geistesabwesend strich er ihr das nasse Haar aus der Stirn und ließ sich von Tozzos Flügelschlag befächern. Der Wortklauber war völlig aus dem Häuschen und überschüttete die beiden mit Glückwünschen zu ihrer Rettung. Pala musste andauernd husten, weil sie beim Schreien Wasser in den Hals bekommen hatte. Als sie endlich wieder einigermaßen normal atmen konnte, zupfte sie sich das zappelnde, nach Luft schnappende X vom Halsausschnitt, schleuderte es in den nun wieder friedlich murmelnden Bach zurück und begann zu schimpfen.
    »Von wegen Haie! Fast wären wir den Silberlingen zum Happen geworden.«
    Giuseppe blinzelte verwirrt. »Wie bitte?«
    Schneller als der Erzähler begriff Tozzo: Die Äußerung Palas hatte dem Brückengedicht gegolten. Trällernd stimmte er in ihre Darbietung ein: »Bedachte Worte gold’nen Schlüsseln gleichen, durch die ihr Zitto könnt das Wasser reichen.«
    »Ich könnte ihm einen Stein an den Kopf werfen«, grübelte Giuseppe.
    Pala entwand sich missfällig seiner Umklammerung, stapfte zu dem geduldig oberhalb der Böschung wartenden Leokapi hinauf und bedankte sich für dessen Rettungseinsatz mit einer extra Ration Streicheleinheiten. Dabei blickte sie nachdenklich zu dem in der Luft stehenden Wortklauber hinauf und sagte: »Du glaubst, wir haben es hier wieder mit einem Rätsel zu tun, stimmts, Tozzo?«
    »Nicht Tozzo hat das gesagt, sondern die Brücke«, erwiderte der Brummer ängstlich. »Tozzo weiß gar nichts. Tozzilein ist nur ein dummer…«
    »Schon gut, mein Kleiner. Entweder weißt du es wirklich nicht genau oder dein Schwur lässt dich nicht offen sprechen. Aber ich denke, mir ist klar, was du sagen wolltest. – Giuseppe?«
    Der Geschichtenerzähler war inzwischen ebenfalls die flache Böschung

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