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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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vorüber; die Nacht aber war klar und frostig. Ista wühlte unter dem Bett nach dem Nachttopf.
    Als sie fertig war, ließ sie den Deckel mit einem Scheppern zuklappen. Sie war erschrocken, wie laut dieses Geräusch in der Stille war, und schob den Nachttopf rasch wieder unters Bett. Dann kehrte sie zum Fenster zurück und wollte die Fensterläden wieder verschließen.
    Das Schlurfen beschuhter Füße erklang aus dem Innenhof; dann kam das Geräusch rasch die Treppen hinauf. Ista hielt den Atem an und spähte durch das Spiralmuster des Eisengitters. Es war wieder Catti, ganz in weiche, schimmernde Seide gehüllt, die wie Wasser ihren Körper umfloss, während sie sich im Mondlicht bewegte. Ista schüttelte den Kopf. Man hätte doch meinen sollen, dass diesem Mädchen kalt würde!
    Gewiss trug sie diesmal keinen Krug mit Ziegenmilch. Sie hatte nicht einmal eine Kerze dabei. Ob sie irgendeine kleinere und gefährlichere Phiole an ihre Brust gedrückt hielt oder einfach nur ihr leichtes Gewand raffte, konnte Ista nicht sagen.
    Behutsam und leise öffnete Cattilara die Tür zu Lord Illvins Gemach und schlüpfte hinein.
    Ista stand reglos am Fenster, starrte hinaus ins Dunkel und umklammerte mit den Händen das kalte eiserne Blättermuster.
    Du hast gewonnen. Ich ertrage es nicht mehr.
    Mit zusammengebissenen Zähnen ging Ista die Kleidungsstücke durch, die an den Wandhaken in ihrem Gemach hingen. Sie nahm den schwarzseidenen Überwurf herunter und zog ihn über ihr helles Nachthemd. Sie wollte nicht riskieren, Liss zu wecken, indem sie im Dunkel durch das Vorzimmer zur Tür stolperte. Ließ sich das Fenster überhaupt öffnen? Ein Eisenstift hielt das Gitter geschlossen, und anfangs hatte Ista Zweifel, ob der Stift sich aus seiner steinernen Furche lösen ließ. Schließlich aber kam er mit einem Ruck frei. Das Gitter ließ sich nach außen aufdrücken. Ista setzte sich auf die Fensterbank und schwang die Beine nach draußen.
    Ihre bloßen Füße verursachten auf den Dielen der Galerie weniger Geräusche als Cattis Hausschuhe. Kein orangefarbenes Glühen drang aus der dunklen Kammer gegenüber. Daher war Ista nicht überrascht, dass die inneren Läden von Illvins Fenster geöffnet waren und das Mondlicht einließen. Ista spähte behutsam über die Kante der verschlungenen eisernen Reben, die das Fenster sicherten. Von hier aus war Catti kaum mehr als ein dunkler Umriss, der sich unter anderen dunklen Umrissen bewegte, ein Schlurfen, ein Atemzug, ein Knarren der Dielen, leiser als das Quieken einer Maus.
    Der Fleck auf Istas Stirn brannte wie eine Verbrühung.
    Ich kann nichts sehen! Ich möchte sehen.
    Stoff raschelte in dem Gemach.
    Ista schluckte, versuchte es zumindest. Und sie betete, so wie sie es sich angewöhnt hatte: Sie machte ein Gebet aus ihrem Zorn, so wie mancher behauptete, mit seinen Liedern oder dem Werk seiner Hände zu beten. Solange es von Herzen kam, versprachen die Geistlichen, würden die Götter es hören. Istas Herz kochte über.
    Ich habe verleugnet, was meine Augen mir gezeigt haben, sowohl die inneren, wie auch die äußeren. Ich bin kein Kind mehr, keine Jungfrau oder eine sittsame Ehefrau, die befürchtet, jemandem zu nahe zu treten. Meine Augen gehören niemand anderem als mir. Wenn ich jetzt nicht stark genug bin, alles zu sehen, was die Welt zu bieten hat – gut oder schlecht, schön oder abstoßend –, wann soll ich dann jemals stark genug werden? Es ist bei weitem zu spät für Unschuld. Meine einzige Hoffnung ist der viel schmerzhaftere Trost, den die Weisheit bringt. Und die kann nur durch Wissen erlangt werden.
    Gib mir meine wahren Augen. Ich möchte sehen. Ich muss wissen.
    Lord Bastard. Verflucht sei dein Name.
    Öffne mir die Augen.
    Der Schmerz auf ihrer Stirn wurde heftiger und ließ dann nach.
    Zuerst sah sie eine Anzahl alter Geister, die in der Luft schwebten, jedoch nicht aus Neugier oder einer ähnlichen Empfindung, denn kein Geist, der so kalt und dahingeschwunden war, konnte ein solches Gefühl entwickeln. Nein, diese Geister wurden eher angezogen wie die Motten vom Licht.
    Als Nächstes erkannte Ista Cattis Hand, die ungeduldig durch die Luft wischte und die Geister davonjagte, als wollte sie störende Insekten beiseite wedeln.
    Sie sieht die Geister auch.
    Ista beschloss, sich später darüber Gedanken zu machen, als ihre Vision von dem milchweißen Feuer erfüllt wurde, das sie bereits in ihrem Traum gesehen hatte. Es ging von Illvin aus – ein zuckendes Glühen,

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