Paladin der Seelen
gleichmäßigen Atemzüge von Liss’ Pritsche auf der anderen Seite des Raumes waren der einzige hörbare Laut. Das Tanzvergnügen war offensichtlich zu Ende; die letzten betrunkenen Feiernden hatten ihren Weg nach Hause gefunden oder waren unterwegs in irgendwelchen Hauseingängen eingeschlafen.
Leise schwang Ista die Beine aus dem Bett und schlich zu den verschlossenen Fensterläden. Behutsam löste sie den Riegel und schlüpfte auf den Balkon. Das einzige Licht hier draußen stammte von zwei Wandlaternen, die auf der anderen Seite des Marktplatzes zu beiden Seiten der verschlossenen Tempeltüren hingen und weit heruntergedreht waren. Ista schaute hinauf zur schmalen Mondsichel am Nachthimmel. Sie wusste, dass es derselbe Mond war wie in ihren Traumbildern. Dieser Ort, dieser Mann – alles war so wirklich wie sie selbst, wo immer es sich auch befinden mochte. Hatte dieser merkwürdige Mann heute Nacht von Ista geträumt, so wie Ista von ihm? Was hatten seine dunklen Augen gesehen, dass er so verzweifelt die Hand nach ihr ausgestreckt hatte? Verwirrte sie ihn so sehr wie er sie?
Seine Stimme war klangvoll, wenn auch ausgehöhlt von Schmerz oder Entsetzen oder Erschöpfung. Doch er hatte Ibranisch gesprochen, die gemeinsame Sprache von Ibra, Chalion und Brajar. Nicht Darthacan oder Roknari – obwohl es ein Dialekt aus Nordchalion gewesen war, beeinflusst von der roknarischen Sprechweise.
Ich kann Euch nicht helfen. Wer immer Ihr seid, ich kann nichts tun. Betet zu Eurem Gott, wenn Ihr auf Rettung hofft. Aber ich kann Euch nicht dazu raten.
Sie floh vor dem Mondschein, schloss sorgfältig die Fensterläden hinter sich und schlüpfte wieder in ihr Bett, so leise sie konnte, sorgsam darauf bedacht, Liss nicht zu wecken. Dann zog sie sich das daunengefüllte Kissen über den Kopf. Es sperrte jeden Anblick aus, bis auf den einen, den sie nicht mehr sehen wollte, der sich jedoch vor ihrem inneren Auge eingebrannt hatte. Als sie im ersten Morgengrauen des nächsten Tages erwachte, war diese Erinnerung noch immer deutlich und ließ alle tatsächlichen Ereignisse des vergangenen Tages eher wie verblasste Träume erscheinen. Ista umklammerte ihre Decken und wartete auf das Tageslicht.
Es war kurz nach Sonnenaufgang, und Liss flocht Ista das Haar, als ein Klopfen an der Tür des Gemachs ertönte. Die Stimme von Foix dy Gura war zu vernehmen: »Herrin? Liss?«
Liss ging zur Tür und öffnete. Dahinter verlief eine Galerie über dem Innenhof des Gasthauses, auf dem sich auch der Brunnen befand. Foix, bereits fertig angekleidet für die Reise, nickte ihr zu und verbeugte sich kurz vor Ista, die über Liss’ Schulter blickte.
»Guten Morgen, Herrin. Hochwürden dy Cabon lässt Euch seine untertänigsten Entschuldigungen bestellen, doch kann er heute bedauerlicherweise nicht die Morgenandacht leiten. Er ist plötzlich krank geworden.«
»O nein«, sagte Ista. »Ist es ernst? Sollen wir zum Tempel schicken und einen Heiler erbitten?« Doch Vinyasca war viel kleiner als Valenda; war die Kirche der Mutter hier überhaupt hinreichend ausgestattet, um eine gut ausgebildete Ärztin zu unterhalten?
Foix kaute auf der Unterlippe, wobei seine Mundwinkel beständig nach oben zuckten. »Nun … äh, ich glaube, so schlimm ist es nicht, Majestät. Vielleicht hat er gestern nur etwas Verkehrtes gegessen. Oder … hm, getrunken.«
»Er war nicht betrunken, als ich ihn zuletzt gesehen habe«, meinte Ista zweifelnd.
»Oh, das war früh am Abend. Anschließend hat er sich einer Gruppe aus dem örtlichen Tempel angeschlossen, und … nun, sie haben ihn ziemlich spät zurückgebracht. Durch eine verschlossene Tür hindurch kann man zwar kein gesichertes Urteil über die Art der Krankheit fällen, doch sein Stöhnen und die anderen Laute, die er von sich gab, hörten sich für mich sehr nach einem schlimmen Kater an. Erschreckend vertraut. Das hat bei mir alte Erinnerungen aufgewühlt … zum Glück verschwommene Erinnerungen. Aber unangenehme.«
Liss unterdrückte ein Auflachen.
Ista warf ihr einen missbilligenden Blick zu und meinte: »Also gut. Sagt Euren Leuten, sie können langsam machen und ihre Pferde beim Heu lassen. Wir werden stattdessen die Morgenandacht im Tempel besuchen und später entscheiden, wann wir aufbrechen. Schließlich sind wir nicht in Eile.«
»Wie Ihr wünscht, Herrin.« Foix nickte und verabschiedete sich mit einem knappen Gruß, ehe er ging.
Die Morgenmesse währte eine Stunde, auch wenn Ista das
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