Paladin der Seelen
Gefühl hatte, dass sie verkürzt war und nicht sonderlich gut besucht. Der einheimische Geistliche wirkte selbst ziemlich bleich und mitgenommen. Nach der Messe schlenderten Ista, Liss und Foix müßig durch das schläfrige Städtchen, in dem bereits die Festzelte abgebaut und verstaut wurden. Sie spazierten den Fluss entlang auf der gestrigen Rennstrecke. Foix ermunterte Liss, von ihrem Ritt zu erzählen, und von den Pferden und Reitern, von denen Ista kaum etwas mitbekommen hatte. Liss erklärte, dass ihr bemerkenswerter Spurt am Ende des Rennens teilweise trügerisch gewesen war: Vielmehr hatten die anderen Pferde zu diesem Zeitpunkt des Rennens stark nachgelassen. Ista stellte erfreut fest, dass die fünf Meilen lange Wanderung sie nicht mehr so sehr erschöpfte, wie es am Tag ihrer Flucht aus der Burg in Valenda der Fall gewesen war. Und das lag nicht nur an der zweckmäßigeren Kleidung und dem besseren Schuhwerk, das sie heute trug.
Gegen Mittag verließ auch dy Cabon erstmals wieder sein Gemach. Sein Gesicht war so fahl wie ein Hefeteig. Nachdem Ista einen kurzen Blick auf ihn geworfen hatte, verwarf sie endgültig sämtliche Reisepläne für den Tag und schickte dy Cabon zurück ins Bett. Er kroch davon und murmelte dabei ebenso klägliche wie tief empfundene Dankesworte. Ista war erleichtert, dass er kein Fieber hatte. Foix’ Krankheitsbefund war offenbar richtig gewesen – und wurde zusätzlich bestätigt, als der Geistliche gegen Abend das nächste Mal aus seinem Gemach schlich, tief beschämt. Er nahm ein Abendessen aus geröstetem Brot und Tee zu sich und lehnte schaudernd ab, als man ihm ein wenig verdünnten Wein anbot.
Am nächsten Morgen hatte dy Cabon sich scheinbar vollständig erholt, obwohl er bei seiner Predigt zum Sonnenaufgang erneut auf eine Vorlage aus seinem Buch zurückgriff. Dann war Istas Schar wieder unterwegs, während die Morgenkälte noch über dem Land lag. Sie durchquerten das steinige Flussbett und folgten der Straße die Hügel hinauf, fort von Vinyasca und weiter in den Norden.
Sie reisten nun auf der trockenen Seite der Berge, und die Landschaft war nur spärlich mit kleinen Wäldchen aus Pinien und Stechpalmen bewachsen, durchsetzt von Buschwerk. Überall stachen graue Felsspitzen aus dem gelblich-dürren Bewuchs. Der Boden war viel zu karg für einträglichen Ackerbau, von einigen handgepflegten Beeten und Terrassengärten abgesehen. Bald schon wich die dünn besiedelte Gegend um Vinyasca einer regelrechten Wildnis. Die Straße führte hangauf und hangab; ein kleines Tal glich dem anderen. Dann und wann kreuzten Flüsse ihren Weg, die von den fernen Höhen zu ihrer Linken herabströmten. Die Reisenden überquerten sie auf alten Brücken oder über unterirdische Durchleitungen, die alle nicht mehr im besten Zustand waren. Immer öfter mussten ihre Pferde und Maultiere sich einen Weg durch mit Felsen markierte Furten suchen. Am frühen Nachmittag hielten sie neben einem solchen Fluss, um Rast zu machen. Das Wasser war die einzige Gabe, die in diesem Land reichlich zur Verfügung stand: klar und rein und eisig kalt.
Das Ziel für den Abend war ein bekanntes Heiligtum, das versteckt in den Bergen lag, der dörfliche Geburtsort einer gesegneten Heilerin und Anhängerin der Mutter, die ihre Wunder allerdings allesamt weit entfernt von diesem entlegenen Ort gewirkt hatte. Andernfalls, überlegte Ista während des Rittes, wäre sie kaum so bekannt geworden. Goldfarbene Felsziesel lebten zwar reichlich hier – sie flitzten umher, erhoben sich dann und wann zwischen den Steinen und zwitscherten den vorüberreitenden Menschen unfreundliche Willkommenslaute zu –, doch diese Tierchen hätten die Taten der Heiligen gewiss nicht aufgezeichnet und auch kein Interesse daran gehabt, sie zu verbreiten und noch Generationen später Reisende anzulocken. Nach diesem Abstecher wollten die Gefährten wieder hinunter in die Ebenen von Chalion ziehen und bequemen, geraden Straßen folgen.
Und schließlich wieder südwärts nach Baocia und nach Hause reiten?
Nein, Ista wollte nicht wieder zurück. Aber wie lange konnte es so weitergehen? Wie lange konnte sie diese jungen Männer kreuz und quer durch die entlegensten Landschaften führen? Bald schon würden härtere Pflichten sie in Anspruch nehmen, wo die Mächtigen von Chalion bereits für einen herbstlichen Feldzug im Norden rüsteten. Dann werden wir uns eben alle noch ein wenig länger vor unseren Pflichten drücken. Das Wetter war
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