Paladin der Seelen
Kanzlers schwatzt zu leichtfertig von den Göttern. Das ist lästerlich.«
Und das beunruhigt dich, dachte Ista. Gut. Es fiel ihr schwer, in Foix einen Spitzel zu sehen, auch wenn sie ihm noch mehr Verstand und Scharfsinn zubilligen musste, als sie es ohnehin tat. Foix hatte nicht den kleinsten Hinweis gegeben, dass er die Aufgabe hatte, über sie Bericht zu erstatten. Im Nachhinein betrachtet ergab das alles Sinn. Hätte er jemand anderem als Lord Cazaril geschrieben, hätte es Ista zutiefst beleidigt. Doch der Kanzler trug die Verantwortung für alles, was in Chalion vor sich ging – und sie schuldete dem Mann mehr, als man jemals ermessen konnte.
Der Befehlshaber räusperte sich und wandte sich an Ista. Er sprach Ibranisch mit schwerem Akzent. »Meint Ihr, Euch haben die Götter erwählt, verrückte Königin?«
Ista saß ganz still. Sie hob leicht die Mundwinkel – gerade genug für ein geheimnisvolles Lächeln. »Wärt Ihr von den Göttern erwählt, müsstet Ihr nicht fragen. Ihr wüsstet die Antwort.«
Er zuckte zurück und kniff die Augen zusammen. »Lästerliche Quintarierin!«
Sie erwiderte seinen Blick so ausdruckslos sie konnte. »Fragt Euren Gott. Ich kann Euch versprechen, Ihr steht Ihm bald gegenüber. Ihr tragt sein Zeichen auf der Stirn, und seine Arme sind geöffnet, um Euch willkommen zu heißen.«
Der Dunkelhaarige gab einen fragenden Laut von sich, und der Ibranisch sprechende Offizier übersetzte Istas Antwort. Für sie war es nur ein Pfeil, den sie auf gut Glück abgeschossen hatte. Allerdings musste man angesichts der gefährlichen Situation, in der die Jokoner sich zur Zeit befanden, kaum mit den Göttern Rücksprache halten, um eine derartige Prophezeiung zu wagen. Der Befehlshaber presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch eine dünne Linie bildeten, ließ sich jedoch auf keinen weiteren Wortwechsel mit Ista ein. Anscheinend wusste er, um wie viel gefährlicher ihre Flucht durch die Anwesenheit dieser Gefangenen wurde. Liss’ Entkommen musste ihm nun als weit größeres Unglück erscheinen, als er ursprünglich angenommen hatte.
Die Frauen wurden an einen Platz neben der Lagerstätte der Offiziere verlegt, und zwei zusätzliche Wachen wurden für sie abgestellt. Wenn Ista bisher noch die Hoffnung gehegt haben mochte, in der Dunkelheit in einem Moment der Verwirrung oder Unachtsamkeit im Wald untertauchen zu können, so hatte diese Hoffnung sich nun zerschlagen.
Kurz darauf wurde ein Soldat herangezerrt und wegen irgendeines Vergehens ausgepeitscht; wahrscheinlich hatte er zu desertieren versucht. Die Anführer saßen beieinander und besprachen, ob sie zur besseren Verteidigung den Zug zusammenhalten oder sich lieber in kleine Gruppen aufteilen sollten, um auf diese Weise das letzte Stück nach Jokona unauffälliger zurückzulegen. Dann und wann brachen sie in wütende Flüche aus, um dann rasch wieder die Stimmen zu senken.
Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis es zu weiteren Desertionen kam. Während des langen Rittes hatte sich Ista zeitweise abgelenkt, indem sie die Reiter aus Jokona gezählt hatte. Sie war auf 92 Mann gekommen. Es konnte interessant werden, morgen bei Sonnenaufgang noch einmal die Köpfe zu zählen. Je kleiner die Schar wurde, umso weniger Sinn machte es für die Kampfstärke, wenn sie zusammenblieben. Wie lange mochte es noch dauern, bis die Kolonne sich von allein aufteilte?
Der Befehlshaber der Jokoner hatte allen Grund, die Flucht so schnell wie möglich voranzutreiben, sowohl wegen der äußeren Bedrohung wie auch wegen der Stimmung seiner Leute. Daher war Ista nicht überrascht, als sie bereits um Mitternacht geweckt und erneut auf ihr Pferd gefesselt wurde. Diesmal allerdings nahm man sie aus dem Tross heraus und vertraute sie dem Ibranisch sprechenden Offizier persönlich an. Zwei weitere Reiter hielten sich dicht in ihrer Nähe. Die Truppe bewegte sich stolpernd und fluchend durch die Dunkelheit.
Anfangs hatte Ista erwartet, dass die herzoglichen Truppen aus Tolnoxo auf der nur zu gut sichtbaren Spur hinter ihnen hergeeilt kämen. Aber diesen Teil Chalions hatten sie ohne Zweifel schon viele Meilen zuvor verlassen. Mit jeder zurückgelegten Meile verschoben sich die Wahrscheinlichkeiten: Nicht der Vorstoß von hinten, sondern der Hinterhalt von vorn war inzwischen eher zu erwarten. In taktischer Hinsicht machte das durchaus Sinn: Die Jokoner sollten sich auf dem Weg zu einem Schlachtfeld, das ihre Gegner für sie ausgesucht hatten,
Weitere Kostenlose Bücher