Paladin der Seelen
würde sie Dinge sehen oder spüren, die mir verborgen bleiben. Immer noch verbringt sie mitunter lange Zeit in tiefem Schweigen, verloren in irgendwelchen traurigen Gedanken. Ich weiß nicht, wie ich jemals zu der Annahme kam, dass Frauen zur Schwatzhaftigkeit neigen. Im Gegenteil wäre mir wohler, wenn sie ein wenig mehr reden würde. Ich kann immer noch nicht sagen, ob ihre Pilgerfahrt tatsächlich auf eine von den Göttern geschickte Eingebung zurückzuführen ist, wie ihr nach Euren ausführlichen Gebeten in Cardegoss befürchtet habt. Andererseits bin ich wochenlang an Eurer Seite geritten, umgeben von Wundern, ohne etwas davon zu bemerken. Also beweist das gar nichts.
Die Feierlichkeiten zu Ehren der Tochter sollten mir eine willkommene Ablenkung von meinen Sorgen bieten. Ich werde morgen fortfahren.
Es folgte das Datum des nächsten Tages; dann stand dort in sauberer Handschrift:
Die Feierlichkeiten verliefen sehr angenehm … Es folgten zwei Absätze mit launigen Beschreibungen. Dy Cabon hat sich arg betrunken. Er will damit üble Träume auslöschen, sagt er, obwohl ich glaube, dass er sie auf diese Weise eher herbeiruft. Ferda ist nicht sehr angetan von seinem Verhalten, aber der Geistliche hatte schließlich mehr mit Königin Ista zu tun als wir anderen, und so braucht er diese Ablenkung vielleicht. Anfangs hielt ich ihn für einen fetten, ängstlichen Dummkopf – ich habe es Euch ja geschrieben. Inzwischen frage ich mich jedoch, ob nicht ich selbst der Dummkopf war.
Ich werde mehr dazu schreiben, wenn wir das nächste Mal Rast machen – in irgendeinem trostlosen Weiler irgendwo in diesen Hügeln, von dem aus irgendeine Heilige zu ihren Wundertaten auszog. Ich wäre ebenfalls von dort ausgezogen, wenn Ihr mich fragt. Die Niederlassung unseres Ordens in Maradi dürfte mir Gelegenheit bieten, diesen Brief sicher auf den Weg zu bringen, falls wir dort vorbeikommen. Ich werde es jedenfalls anregen. Ich glaube nicht, dass wir uns weiter nach Norden wagen sollten, und mir sind die Bücher zum Lesen ausgegangen.
An dieser Stelle brach der Brief ab; eine halbe Seite auf dem Blatt war leer geblieben. Offensichtlich war Foix zu erschüttert gewesen und hatte nicht mehr von dem Zwischenfall mit dem Bären berichtet, ehe sie tags darauf auf die Krieger aus Jokona gestoßen waren.
Ista schaute auf. Einer der Jokoner, ein dunkelhaariger, jüngerer Mann, beobachtete sie mit habgierigem Grinsen. Der ältere, stämmigere Edelmann legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er trug einen grünen Schwertgurt mit schwerem Goldbesatz. Ista kam zu dem Schluss, dass er der Befehlshaber des Zuges war – zumindest der hochrangigste überlebende Offizier. Sie las aus seinem Blick weitergehende strategische Überlegungen, die sie viel mehr beunruhigten als bloße Gier. Der ibranisch sprechende Offizier schaute besorgt drein.
So sinnlos es auch schien, Ista unternahm einen weiteren Versuch, an ihrer aufgedeckten Tarnung festzuhalten. Mit gespielter Gleichgültigkeit hielt sie den Männern die Papiere hin. »Was hat das mit mir zu tun?«
Der Dolmetscher nahm die Unterlagen wieder an sich. »Das ist eine gute Frage. Majestät«, sagte er mit einer Verbeugung, wie sie in Roknar bei Hofe üblich war: mit einer gleitenden Geste der rechten Hand vor dem Körper nach unten, den Daumen fest gegen die Handfläche gedrückt. Die Bewegung brachte Ironie wie auch Vorsicht zum Ausdruck.
Auf Roknari sagte der Anführer: »Das also ist die verrufene, wahnsinnige Mutter der Königin Iselle?«
»Es hat den Anschein, Herr.«
»Die Götter haben ihr Füllhorn über uns geleert«, warf der Dunkelhaarige ein. Seine Stimme zitterte vor Aufregung. Er beschrieb das vierfältige Segenszeichen und berührte die Stirn, den Nabel, die Leiste und das Herz, wobei er den Daumen sorgsam in der Hand verbarg. »Mit einem einzigen glücklichen Streich wurden wir für all unsere Leiden entschädigt und haben unser Glück gemacht.«
»Ich dachte, man hätte sie in irgendeiner Burg weggeschlossen. Wie konnten sie so unvorsichtig sein und diese Frau so ungeschützt reisen lassen?«, wollte der Anführer wissen.
»Ihre Wache konnte nicht damit rechnen, hier auf uns zu stoßen. Nicht einmal wir selbst haben ja damit ge rechnet, hier zu landen«, bemerkte der Dunkelhaarige.
Misstrauisch schaute der Anführer auf den Brief, obwohl deutlich war, dass er ohne die Hilfe seines Dolmetschers kaum jedes dritte Wort entziffern konnte. »Dieser Spitzel ihres
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