Paladin der Seelen
müde marschieren.
Andererseits … war es möglich, dass Liss immer noch Istas Inkognito gewahrt hatte? Dass sie den Verantwortlichen nur gemeldet hatte, die unwillkommenen Durchreisenden hätten irgendeine weniger bedeutende Edelfrau auf Pilgerfahrt aufgegriffen und mitgenommen? Ista konnte sich gut vorstellen, wie der Herzog von Tolnoxo gerade lange genug zögerte, um die fliehenden Jokoner zu einem Problem des Herzogs von Caribastos werden zu lassen. Dy Cabon und Foix hätten ein derart nachlässiges Vorgehen niemals zugelassen. Aber waren sie überhaupt in Sicherheit? Vielleicht irrten sie immer noch durchs Hügelland. War Foix’ ungeschliffener Dämon womöglich abrupt stärker geworden, verschlagener, indem er sich am scharfen Verstand seines Wirtes gütlich tat? Hatte er die beiden Menschen überwältigt oder in die Irre geführt?
Geleitet von Berichten ihrer Späher kamen die Jokoner aus den spärlichen Wäldern hervor und folgten einer Straße durch die Dunkelheit. Dort konnten sie mehrere Meilen in raschem Trab zurücklegen. Kurz vor der Morgendämmerung bogen sie in einen Flusslauf ab, der Niedrigwasser führte. Die Hufe ihrer Pferde knirschten laut auf Kies und Sand. Wenn die Männer etwas zu bereden hatten, ritten sie nahe zusammen und beugten sich einander zu.
Ista befeuchtete sich die trockenen Lippen und streckte den schmerzenden Rücken, so gut es die vor ihr gefesselten Hände erlaubten. Zwischen ihren zusammengebundenen Handgelenken und dem Ring, an dem das Seil befestigt war, blieb ein kurzes Stück Seil lose; wenn Ista die Hände hob und sich vorbeugte, konnte sie sich gerade eben an der Nase kratzen. Es war schon zu lange her, dass man ihr etwas zu trinken gegeben hatte, oder zu essen, und dass sie Gelegenheit gehabt hatte, sich zu erleichtern. Die Innenseiten ihrer Knie waren wund gescheuert.
Und was geschah, wenn der Zug jedem Hinterhalt auswich und schließlich doch über die Grenze nach Jokona entkam? Ohne Zweifel würde man sie Fürst Sordso übergeben, in seinen Palast führen und dort wie eine Königin unterbringen, mit Bediensteten und allem Luxus. Hatte sie die eine Burg verlassen, nur um als Gefangene in einer anderen zu enden? Und schlimmer noch, um zum politischen Druckmittel gegen die wenigen Menschen zu werden, die ihr etwas bedeuteten …?
Die Schwärze wich einem blassgrauen Zwielicht. Aus Schatten wurden Umrisse und schließlich Formen und Farben, während der sternklare Himmel allmählich zur Morgendämmerung hin ausbleichte. Tief hängender Dunst schwebte über dem Wasser und wogte das flache Ufer empor. Mit jedem Schritt rührten die Pferdebeine durch den Nebel wie durch Milch. Zu ihrer Linken erhob sich ein kleiner Steilhang, den das Flüsschen im Laufe der Zeit ausgehöhlt hatte. Die rötlichen Schichten im Stein erglühten eben erst im aufkommenden Tageslicht.
Ein Stein klatschte in das trübe Wasser, das den Fuß des Abhangs umspülte. Die Wache an Istas Seite fuhr herum und wandte den Kopf in Richtung des unvermittelten Geräusches.
Ein dumpfer Laut – und plötzlich steckte ein Armbrustbolzen in der Brust des Mannes. Mit einem erstickten Schrei stürzte er in den Kies. Im nächsten Augenblick spürte Ista die Erschütterung, die sein Tod verursachte. Es war wie Blitzschlag, der all ihre Sinne überreizte und sie benommen machte. Ein Zerren an der Führungsleine ließ ihr Pferd unvermittelt in Trab fallen, dann in leichten Galopp. Überall um sie herum schrien Männer, riefen Befehle, brüllten Flüche. Von oben antworteten andere Schreie, und Pfeile regneten herab.
O ihr fünf Götter, verleiht dem Angriff Schnelligkeit.
Ferda und seine Männer waren in größter unmittelbarer Gefahr, denn die Jokoner mochten in die Versuchung geraten, ihre gefährlichsten Gefangenen sogleich zu erschlagen, ehe sie sich den neuen Feinden zuwandten. Ein weiterer Tod brandete gegen Istas innere Sinne an, und noch einer, wie eine weiß glühende Feuerwand, obwohl ihre äußeren Sinne im wirbelnden Durcheinander der Bewegungen kaum noch etwas unterscheiden konnten. In wachsender Verzweiflung ruckte sie ihre aufgerissenen Handgelenke vor und zurück, um die Fesseln zu lösen, doch die Knoten waren fest geschnürt, und Ista hatte es nicht einmal auf ihrem langen Nachtritt geschafft, sie zu lockern. Vielleicht konnte sie die Füße aus den Steigbügeln nehmen und versuchen, sich vom Pferd zu schwingen … nein, dieser Versuch wäre aberwitzig, denn sie würde sich dabei eher die
Weitere Kostenlose Bücher