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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Schauplatz des Gemetzels. Die Körper lagen ausgestreckt da. Keines der erschöpften Pferde hatte sich weit entfernt. Die kreischenden Visionen waren allesamt verblasst, doch das Tal schien immer noch von Leid und Schmerz widerzuhallen. Ista konnte es kaum erwarten, von diesem Ort fortzukommen.
    Er half ihr auf. Dankbar nickte sie ihm zu. Mit jeder Minute schien ihr Körper mehr an Kraft zu verlieren. Wenn sie noch lange wartete, würde sie weder laufen noch reiten können.
    Er versuchte, ihr aufs Pferd zu helfen, doch sie holte scharf Atem vor Schmerz, und er hielt inne. Schließlich umfasste er sie an der Hüfte und hob sie hoch, als wäre sie leicht wie eine Feder. Ista war zierlich, doch sie war nicht mehr das gertenschlanke Mädchen von achtzehn. Wenngleich der Mann mindestens so alt sein musste wie sie selbst, schienen die Jahre, die seinen Bart hatten ergrauen lassen, seiner Kraft offenbar nichts anhaben können. Nun, solange er dieses Marschland überwachte, blieb er natürlich stets in Übung.
    Mühelos schwang er sich auf sein eigenes Ross – ein großes, schweres Tier. Ista überlegte, ob das wundervolle, dunkel gescheckte Pferd vielleicht derselben Zucht entstammte wie Liss’ langbeinige Fuchsstute, schlank, mit ausgeprägten Muskeln, auf Schnelligkeit und Ausdauer gezüchtet.
    Der Mann ritt Ista voraus zum Flussbett und wandte sich dann stromauf. Ista konnte die Hufabdrücke seines Pferdes in Sand und Kies ausmachen, wie sie aus der entgegengesetzten Richtung hierher führten. Beruhigenderweise aber gab es keine weiteren Spuren. Nach einigen Minuten bogen die Abdrücke zu den lichten Wäldern hin ab, die sich am Fluss entlangzogen – genauer gesagt, führten von den Wäldern heran. Die beiden ritten allerdings weiterhin neben dem dahinfließenden Wasser her. Istas erschöpftes Pferd bewegte sich mit kurzen, steifen Schritten. Wahrscheinlich lag es allein an der Anwesenheit des anderen Pferdes, überlegte Ista, dass es überhaupt noch einen Schritt tat. Genau wie ich.
    Das Licht war hier besser, und Ista musterte ihren Retter genauer. Sein Pferd, sein Schwert, seine Ausrüstung – alles war von erlesener Qualität. Allerdings verzichtete er auf Edelsteinknöpfe, Einlegearbeiten aus Metall und anderen Zierrat. Er war also kein mittelloser Offizier, sondern ein Mann, der sich nur auf das Zweckmäßige konzentrierte. Aber wenn ein Krieger wie er an dieser Grenze zwanzig Jahre überlebt hatte – und sein Bart und das wettergegerbte Gesicht deuteten darauf hin –, musste er sehr umsichtig, stark und entschlossen sein.
    Es war vor allem das Gesicht, das Istas Blick auf sich zog. Es war kein jungenhaftes Gesicht, nicht so jugendlich und kraftvoll wie bei Ferda und Foix; doch es war auch nicht das Gesicht eines alternden Mannes wie bei dy Ferrej. Es war das Gesicht eines Mannes auf dem Höhepunkt seiner Kraft und Reife, im Zenit des Lebens. Dennoch es war seltsam bleich. Vielleicht war der letzte Winter in Caribastos besonders düster gewesen.
    Als Ista an Düsternis dachte, schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit.
    Mit achtzehn hatte Lord dy Lutez ihre Heirat mit König Ias arrangiert. Ein strahlender, jedoch vergifteter Triumph. Von da an war es bergab gegangen – ein Sturz in den endlosen dunklen Nebel, den die Witwenschaft und der Fluch mit sich brachten. Es hatte Istas Verstand und ihr Herz verdorren lassen. Ihre gesamte Lebensmitte war wie eine öde Wüste, und all diese Jahre konnten nicht zurückgewonnen, nicht ersetzt werden. Ista hatte weder das Leben gehabt wie andere Frauen ihres Alters und deshalb auch nicht die entsprechenden Erfahrungen sammeln können.
    Trotz der Verherrlichung von Jungfräulichkeit, Treue und Keuschheit der Frauen hatte Ista an Ias’ Hof viele Damen von Rang gekannt, die offen – oder insgeheim – einen Liebhaber gehabt hatten. Solche Affären hatte es am kleineren Hof der Herzoginwitwe in Valenda natürlich nicht gegeben: Die alte Dame duldete so etwas nicht, ja, sie duldete nicht einmal junge Menschen in ihrer Gegenwart, die solcher Verführung nachgeben könnten. Ihre Tochter Ista, einem beschämendem Wahnsinn verfallen, war die einzige Ausnahme. Seit der Aufhebung des Fluches hatte Ista zwei Reisen nach Cardegoss unternommen – einmal im Tross der alten Herzogin bei der Krönung Iselles, und ein zweites Mal, um im letzten Herbst die kleine Isara zu besuchen. Dabei hatte sie sich mit einer kleinen Heerschar höfischer Verehrer herumplagen müssen, in deren

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