Paladin der Seelen
Gefangenen der Jokoner waren auch einige Ritter vom Orden der Tochter. Sind sie in Sicherheit?«, fragte sie.
»Ja, ich habe welche gesehen«, antwortete einer der Soldaten.
»Wie viele?«, fragte Ista eindringlich.
»Ich weiß nicht genau, Herrin – einige von ihnen sind im Lager.« Mit einer Kopfbewegung deutete er flussaufwärts.
»Gleich werdet Ihr wieder bei ihnen sein und könnt Euch in aller Ruhe anhören, was sie von den Ereignissen am Morgen zu berichten haben«, beruhigte sie ihr Retter. Seine Männer salutierten und ritten davon.
»Zu wem gehören diese hervorragenden Krieger?«, wollte Ista wissen.
»Zu mir, glücklicherweise«, erwiderte er. »Ich muss mich entschuldigen. In der Eile habe ich versäumt, mich mit vollem Namen vorzustellen: Arhys dy Lutez, Graf von Porifors, zu Euren Diensten. Burg Porifors schützt die gesamte Spitze von Chalion, die zwischen Jokona und Ibra hineinragt, und die Männer von Porifors sind die geschärfte Schneide dieser Klinge. Den fünf Göttern sei Dank, die Aufgabe ist einfacher geworden, seit Ibra friedlich in den Armen von Königin Iselle ruht.«
Ista erstarrte in seinem sanften Griff. »Dy Lutez?«, wiederholte sie entsetzt. »Seid Ihr verwandt mit …?«
Seine fröhliche Liebenswürdigkeit schwand, obwohl seine Stimme immer noch beiläufig klang: »Mit dem großen Kanzler und Verräter, Arvol dy Lutez? Er war mein Vater.«
Er war keiner der beiden hauptsächlichen Erben dy Lutez’, der Söhne aus der ersten Ehe des Kanzlers, die ihm bereits zu Istas Zeit an den Hof gefolgt waren. Die drei anerkannten unehelichen Kinder des berühmten Höflings waren allesamt Mädchen gewesen, die bereits vor langer Zeit durch einträgliche Heiraten versorgt worden waren. Dy Lutez war schon zweimal verwitwet gewesen, als Ista ihm das erste Mal begegnet war, und seine zweite Frau war schon zehn Jahre tot. Dieser Arhys musste also ein Sohn dieser zweiten Frau sein. Der, den dy Lutez auf den ländlichen Besitztümern seiner Frau zurückgelassen hatte, damit er in der Blüte seiner Jahre ungehindert bei Hofe und zu Felde hinter Ias herlaufen konnte, die eine Erbin aus dem Norden gewesen war, soviel wusste Ista noch.
Seine Stimme wurde ein wenig harsch: »Wundert es Euch, dass der Sohn eines Verräters Chalion gute Dienste leistet?«
»In keiner Weise.« Sie hob den Blick und nahm seine Gesichtszüge, die so dicht vor ihr waren, genauer in Augenschein. Das schmale Kinn und die gerade Nase musste er von seiner Mutter haben, die geballte Energie von dy Lutez. »Er war ein großer Mann. Ihr seht ihm irgendwie ähnlich.«
Er runzelte die Stirn und wandte den Kopf, um sie anzusehen – auf ganz andere Weise als zuvor, mit einer unterdrückten, aber begierigen Eindringlichkeit. Ista hatte nicht bemerkt, wie reserviert er war, bis er die Maske nicht mehr aufrechterhalten konnte: »Wirklich? Ihr seid ihm begegnet? Habt ihn gesehen?«
»Ihr etwa nicht?«
»Ich erinnere mich jedenfalls nicht daran. Meine Mutter hatte ein Gemälde von ihm, aber das war nicht besonders gelungen.« Sein Blick wurde nachdenklich. »Ich war fast alt genug, ihm an den Hof von Cardegoss zu folgen, als er starb. Ich war alt genug. Aber … vielleicht war es besser so.« Seine Begeisterung schwand wieder, kroch zurück in ihre verborgene Zuflucht, und sein Lächeln zeigte eine Spur von Verlegenheit – ein reifer Mann von vierzig, der vorgab, dass der Kummer eines Zwanzigjährigen ihn nicht mehr berührte.
Ista erkannte, dass sie wohl doch nicht so abgestumpft war, wie sie angenommen hatte. Dieser unerwartete Einblick in sein Inneres, den er ihr unachtsam gewährt hatte, wühlte wie ein Messer in ihr.
Sie gelangten an eine Flussbiegung, die an eine waldumstandene Wiese grenzte. Das Gras war niedergetrampelt und mit den Überresten eines halb abgebrochenen Lagers bedeckt, mit erloschenen Feuern und verstreut umherliegender Ausrüstung. In einiger Entfernung waren Seile für die Pferde zwischen den Bäumen gespannt, und mehrere Männer sattelten gerade ihre Reittiere oder beluden die Mulis. Die einen packten, die anderen saßen herum, wieder andere schliefen auf Decken oder dem kahlen Erdboden. Mehrere Zelte für die Offiziere standen geschützt im Schatten eines Wäldchens am gegenüberliegenden Ende der Wiese.
Ein Dutzend Männer stürmten auf dy Lutez zu, kaum dass er in Sicht kam. Sie jubelten, riefen Grüße und Fragen, ließen Neuigkeiten auf ihn einprasseln und verlangen neue Befehle. Eine vertraute
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