Paladin der Seelen
war es ihm gelungen, seine Armbrust vom Sattel zu lösen. Hastig drehte er an der Winde, während sein Pferd zur Seite tänzelte und schnaubte. Der Mann hielt einen Bolzen zwischen den Zähnen bereit; nun spuckte er das tödliche Geschoss in seine Hand und legte es auf die Schiene, hob die Waffe und legte an. Zwar bewegte sich sein Ziel, doch die Entfernung war gering.
Die unbewaffnete Ista trat ihrem Pferd die sporenlosen Fersen in die Seite und zwang es zu einem unwilligen Trab quer über den Bach. Sie riss den Kopf des Pferdes zur Seite und trieb es gegen das Tier des Arm brustschützen. Dieser fluchte. Die Sehne sirrte und schickte das Geschoss ins Leere. Der Mann schwang die schwere Armbrust gegen Istas Kopf, doch sie duckte sich, und der Hieb des Mannes ging fehl.
Sein Befehlshaber rief ihm über die Schulter hinweg zu: »Bring die Frau zu diesem Fürsten!«
Der Mann auf dem grauen Pferd ließ die beiden hinteren Wachen blutend am Boden zurück. Er galoppierte voran, wobei er sein Pferd mit den Knien lenkte, stellte sich in den Steigbügeln auf und hob sein Schwert zu einem wuchtigen, beidhändigen Hieb. Der letzte Befehl des unglückseligen Kommandanten wurde mitsamt dessen Kopf abrupt abgeschnitten. Für Ista vermischte sich die Fülle der Eindrücke – der stürzende Körper, das aufspritzende Blut, das scheuende Pferd und das feurige Strahlen einer gequälten Seele, die aus ihrem Halt gerissen wurde.
Glaubst du nun an meine Prophezeiungen?, dachte sie verwirrt.
Und noch verwirrter: Ich etwa?
Das funkelnde Schwert und das graue Pferd fuhren beide herum und näherten sich nun dem Armbrustschützen, der fieberhaft seine Waffe spannte. Wieder wechselte die Klinge von der Rechten in die Linke. Die Spitze senkte sich wie eine Lanze. Die Wucht des Angriffes von Pferd und Reiter war gewaltig und perfekt ausgerichtet. Die Schwertspitze drang in die Brust des Schützen und durchbohrte sein Kettenhemd, riss ihn aus dem Sattel, trug ihn über den Rücken des Pferdes hinweg und nagelte seinen Körper an den Baum hinter ihm. Sein Pferd ging zu Boden und kämpfte sich wieder auf die Hufe. Mit bebenden Flanken suchte es das Weite. Für einen Augenblick entglitt das Schwert der Hand seines todbringenden Meisters; der aber ließ das Pferd auf der Stelle herumwirbeln, griff nach dem Heft des Schwerts und riss die Klinge heraus. Der tote Jokoner stürzte zu Boden, und sein Blut tränkte die Wurzeln des Baumes.
Ista wurde beinahe ohnmächtig unter dem Ansturm der kreischenden, verzweifelten Seelen, die um sie her wirbelten. Sie umklammerte den Sattelknopf und hielt sich mit Mühe aufrecht, wobei sie die Augen weit aufriss und auf diese Weise versuchte, sich dem zweiten Gesicht zu entziehen. Der Anblick des blutigen Schlachtfelds, das sich nun vor ihr ausbreitete, war leichter zu ertragen als diese unwillkommenen Visionen. Wie viele waren gestorben …? Der Anführer, der Armbrustschütze … und auch von den beiden hinteren Wachen würde keine sich jemals wieder rühren. Ein Reiter mitsamt seinem Pferd war verschwunden, und eine Blutspur verriet, auf welchem Weg sie entkommen waren. An der Einmündung des Tales kämpfte sich der Dolmetscher auf ein umherstreunendes Reittier; sein Schwert ließ er achtlos im rotgrünen Schlamm zurück. Er galoppierte flussab, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Den Reiter auf dem grauen Pferd hatte dies alles offenbar kaum angestrengt; er atmete nicht einmal schneller. Einen Augenblick blickte er hinter dem Fliehenden her. Blut tropfte von der gesenkten Klinge seines Schwertes. Dann wandte er sich um, schaute besorgt auf Ista und drängte sein Pferd in ihre Richtung.
»Ist Euch etwas geschehen, verehrte Dame?«
»Ich bin … nicht verletzt«, erwiderte sie keuchend. Die geisterhaften Visionen schwanden allmählich, wie die geblendete Benommenheit, die blieb, wenn man zu lange in die Sonne geschaut hatte.
»Gut!« Wieder blitzte sein Lächeln auf, begeistert – trunken vom Kampf? Er war gewiss kein Mann, der sein Urteilsvermögen von Furcht trüben ließ. Genauso wenig allerdings von gesundem Menschenverstand: Vernünftige Menschen wandten sich nicht alleine gegen sechs verzweifelte Gegner.
»Wir sahen, wie man Euch verschleppt hat«, fuhr er fort, »und haben uns aufgeteilt, um die Wälder nach Euch abzusuchen. Ich dachte mir, Ihr müsstet irgendwann hier herauskommen.« Er ließ den Blick über den Rand der Klamm schweifen, suchte nach weiteren Anzeichen von Bewegung und Bedrohung.
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