Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)

dass sich Wills Geist entspannte und er immer schläfriger wurde. Als ihm das Kinn auf die Brust sank, schleppte er sich ins Bett und schlief sofort ein.
    Ein paar Stunden später erwachte er im Sonnenschein. Er schaute zum Monitor und sah, dass der Punkt weiter angewachsen war. Die blasse Gestalt, die sich über Nacht gebildet hatte, sah aus wie die Silhouette eines menschlichen Körpers, der auf dem Rücken lag und im Raum schwebte. Noch vage und unfertig, aber im Entstehen.
    Das bin ich. Er entwickelt meinen Doppelgänger .
    Nachdem Will geduscht und sich angezogen hatte, griff er nach dem Tablet, um es mitzunehmen, doch sofort ertönte ein schriller Ton und auf dem Bildschirm erschien eine Warnung:
    DIESES GERÄT DARF ERST BENUTZT WERDEN, SOBALD DIE AKTIVITIERUNG VOLLSTÄNDIG ABGESCHLOSSEN IST.
    »Der Vorfahre jeder Handlung … ist ein Gedanke.«
    Will schnellte hoch und hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Nach dreißig Minuten seiner ersten Stunde bei Dan McBride – dem Lehrer, dessen Meinung ihm wichtiger war als die jedes anderen – konnte er nur noch mit Mühe die Augen aufhalten. Er ließ den Blick über die anderen zwanzig Schüler im Hörsaal schweifen. Keiner von ihnen schien zu bemerken, wie schwer es ihm fiel, wach zu bleiben.
    »Das ist Emersons zentraler Gedanke«, sagte McBride an seinem Lesepult. »Alles beginnt im Geist. Alles, was wir wahrnehmen, was wir schaffen, erfahren oder glauben … beginnt hier. In unserem Inneren.«
    Will rutschte auf seinem Platz hin und her. Ein trüber Gedankensumpf schwappte in seinem Kopf herum und unheimliche maskierte Gesichter schwammen auf ihn zu, während er gegen den Schlaf ankämpfte.
    Eine Gruppe, die sich selbst die Ritter Karls des Großen nennt. Nach den ursprünglichen Paladinen aus dem Mittelalter. Mitglieder eines Geheimbundes innerhalb der Schule. Mit irgendeiner Verbindung zu den Schwarzkappen und dem Niegewesen.
    Was bezwecken sie? Seit wann sind sie hier? Es kann nicht bloß Zufall sein, dass das Maskottchen des Centers ein Paladin ist. Aber wie passt das alles zusammen?
    »Ihr müsst an euch selbst glauben«, fuhr McBride fort. »Lernt, euren Instinkten zu trauen, wenn die Welt euch sagt, ihr sollt es nicht tun. ›Vertraue dir selbst entgegen aller Vernunft oder der Meinung aller anderen.‹ So sollten wir Emerson zufolge leben. Denn euer Leben muss in allererster Linie für euch einen Sinn ergeben.«
    McBrides Worte klangen, als wären sie direkt auf Will gemünzt. Wie eine von Dads ersten Regeln.Nr. 11: VERTRAUE DEINEN INSTINKTEN.
    Dadurch wurde Will schlagartig wieder wach. Er schaute zu Brooke hinüber, die in der Ecke saß, McBride ansah und ihm aufmerksam zuhörte. Sie war so wunderschön, dass seine Brust bei ihrem Anblick schmerzte. Dann spürte er, wie sich von hinten ein Augenpaar in seinen Rücken bohrte.
    Hör auf zu glotzen und halt dich ein wenig zurück, du Schlafmütze .
    Als er sich umdrehte, sah er, dass Elise ihn anstarrte. Erwischt. Na toll, sind meine Gefühle schon so offensichtlich?
    Elise hielt sich mit den Fingern die Augen auf. Sie machte sich lustig über seine Versuche, wach zu bleiben.
    Doch Will bemerkte noch etwas anderes in ihrem Blick: einen nicht überwundenen Schmerz hinter ihrer coolen Fassade. Er hatte das Gefühl, als sähe er sie zum ersten Mal richtig.
    »Emerson möchte, dass wir Folgendes tun«, erklärte McBride und entfernte sich vom Pult. Er klang so ernsthaft, als erzählte er das alles zum ersten Mal. »Emerson will, dass wir eigenständig denken, ohne Angst, uns lächerlich zu machen oder verurteilt zu werden. Er will, dass wir uns entscheiden und das ignorieren, was der Rest der Welt sagt. Achtet nicht auf Moden und Trends und folgt immer eurer eigenen inneren Stimme. Eure vorrangige Aufgabe besteht darin, zu lernen, wer ihr seid. Was Emerson betrifft, so gibt es keine Fehler im Leben, nur Lektionen. Sobald ihr eine Lektion gelernt habt, geht ihr weiter zur nächsten. Und der einzige Ort zum Lernen ist genau hier. In der immerwährenden Gegenwart.«
    Sei dir der Realität der Gegenwart stets bewusst. Denn wir haben nichts außer dem jetzigen Moment. McBride beschwor heute wirklich Dad herauf, dachte Will und spürte, wie sich seine Stimmung verbesserte.
    Nach dem Unterricht winkte McBride Will zu sich ans Pult. »Schön, dass du meinen Kurs besuchst, Will. Ich hoffe, du hattest nicht allzu viel Mühe, wach zu bleiben.« McBride zwinkerte ihm zu, während er seine Unterlagen in eine Aktentasche