Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
herabhingen wie die durchgeschnittenen Fäden einer Marionette. Dave war verschwunden.
Will sah Lillian Robbins auf dem Boden neben der Stelle, wo die Liege gegen die Wand gekracht war. Die Psychologin starrte ihn an. Plötzlich kehrte der Strom in den Mast zurück und elektrisierte die losen Kabel. Sie bäumten sich auf, tanzten über den Boden und peitschten in Robbins Richtung, nur Millimeter von ihr entfernt.
Mühsam rappelte Will sich auf. Ohne nachzudenken, schuf er ein Gedankenbild, das die Drähte wie eine unsichtbare Hand packte, die in ein Knäuel giftiger Schlangen greift. Er manipulierte das Bild so, dass sich die zischenden Kabel um den umgeworfenen Mast wickelten und Funken sprühend gegen einen Trafokasten schlugen, bis sie einen Kurzschluss verursachten und reglos liegen blieben.
Robbins kam auf die Knie. Geist und Kujawa eilten ins Labor und halfen ihr auf. Dann schauten alle drei zu Will hinüber. Nur mit Shorts und Laufschuhen bekleidet, stand er zitternd da. Dicke Schneeflocken wirbelten um ihn herum und durchgeschmorte Elektroden fielen wie verbrannte Knöpfe von seinem nackten Oberkörper herab.
»Alles … in Ordnung?«, stammelte Robbins.
»Ich denke schon«, meinte Will. »Was ist passiert?«
»Der Strom ist ausgefallen und der Mast … krachte durch das Fenster«, erklärte Geist.
»Eine unglaubliche Windbö«, kommentierte Kujawa.
»Ja, offensichtlich«, pflichtete Geist ihm atemlos bei. »Eine Fallbö oder ein Scherwind.«
»Irgendeine elektrische Entladung«, fügte Kujawa hinzu.
Erneut wandten sie sich Will zu und einen kurzen Moment dachte er daran, ihnen die Erklärung zu liefern: Wenn ich in Todesgefahr schwebe, kann ich offensichtlich mit meinem Geist Objekte bewegen . Er drehte sich um und sah, dass der Rest des Labors fast völlig zerstört war; große Teile des Apparats qualmten noch von der Säure, die an der Verkleidung explodiert war. Doch dann erinnerte er sich wieder an Daves Warnung und die Verschwiegenheitsvereinbarung.
»Verdammtes Pech mit den Geräten heute, was, Doc?«, meinte Will bedauernd.
Kujawa nickte; ihm fehlten die Worte. Auch die anderen schwiegen. Der Wind peitschte durch den Raum, und da das Adrenalin in seinem Blut abebbte, traf die Kälte Will wie ein Hammer. Kujawa führte ihn rasch in ein leeres Krankenzimmer und hüllte ihn in Decken, während er seine Vitalfunktionen überprüfte. Will hatte keine größeren Verletzungen davongetragen und sein Körper wurde schnell wieder warm, obwohl er sich schwach und benommen fühlte. Aber er kannte den Grund dafür und hatte nicht vor, dem Arzt davon zu erzählen.
Vor dem Gebäude hatte sich inzwischen eine Menschenmenge versammelt und die Feuerwehr war eingetroffen. Will hörte, wie die Feuerwehrmänner einen Baukran orderten, um den Mast aus dem dritten Stock zu bergen. Er hatte sich gerade wieder angezogen, als Lillian Robbins ins Zimmer kam.
»Ich habe deine Mitbewohner angepiepst«, teilte sie ihm mit. »Du kannst mit ihnen zu eurer Wohnung zurückkehren, sobald sie hier sind.«
»Okay«, sagte Will und band seine Schuhe.
»Deine Eltern sollten eigentlich um vier Uhr eintreffen«, fuhr Dr. Robbins fort, »aber wegen des Sturms wurden sie nach Madison umgeleitet. Mr McBride holt sie dort ab, sodass sie rechtzeitig zum Abendessen hier sein werden. Ich habe einen Tisch im Speisesaal der Fakultät reserviert. Mr Rourke wird ebenfalls dabei sein.«
»Ich würde gerne Brooke mitbringen«, sagte Will. »Wenn das in Ordnung ist.«
Robbins musterte ihn prüfend. »Kein Problem.«
Will bemerkte einen Ausdruck in Robbins' Gesicht, der ihm schon vorher aufgefallen war: Sie studierte ihn skeptisch und nachdenklich. »Hat die Untersuchung irgendwas ergeben?«, erkundigte er sich. »Ich meine, bevor das ganze Labor in die Luft geflogen ist?«
»Ich bin keine Neurologin. Dr. Kujawa und Dr. Geist werden die Ergebnisse mit dir durchgehen.«
Will lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Also haben Sie etwas gesehen.«
Erneut schaute Robbins ihn eindringlich an. »Hast du Selbstgespräche geführt, Will?«
»Selbstgespräche? Ja, klar«, bestätigte er. »Konnten Sie mich hören?«
»Nicht deutlich genug, um zu verstehen, was du gesagt hast.«
»Sie hatten recht. Ich dachte, in dieser Röhre würde mir gleich der Schädel platzen, also habe ich mir gut zugeredet: ›Es geht dir hervorragend; alles in Ordnung; denk nicht darüber nach, wo du gerade bist.‹«
»Haben dir … irgendwelche Stimmen
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