Palast der blauen Delphine
auf die Knie sackte. Unbarmherzig drückte Theseus sein Gesicht auf die Erde. Dann rammte er ihm das Knie in den Nacken und hieb seine Stirn auf den harten Boden. Wieder und immer wieder.
Dies war kein Wettkampf mehr. Dies war eine Sache auf Leben und Tod! Minos drängte die anderen zur Seite, lief zu den beiden Ringern und packte den Tobenden am Schopf. Mit aller Kraft riß er ihn nach hinten.
Theseus’ Bewegungen erlahmten, und sein Körper wurde schlaff. Langsam gab Minos ihn frei, versetzte ihm allerdings noch einen kräftigen Stoß. Dann drehte er seinen Sohn behutsam herum, tupfte mit seinem Mantel Schmutz und Blut von seinem Gesicht und registrierte erleichtert, daß Deukalion nur ein paar Kratzer und Schürfwunden davongetragen hatte. Minos schickte ein stummes Dankgebet zur Göttin, als er endlich die Augen öffnete.
»Mir ist nichts passiert.« Deukalion versuchte ein Lächeln. »Aber ich habe den Kampf verloren.«
»Wenn man dieses Spektakel als ›Kampf‹ bezeichnen kann«, erwiderte Minos grimmig. Nach der anfänglichen Erleichterung kehrte seine Wut zurück. »Für meinen Geschmack hatte es viel Ähnlichkeit mit versuchtem Totschlag.«
»Du übertreibst, Minos«, warf Aigeus ein. Er schien erleichtert, daß Deukalion langsam aufstehen konnte. »Das war nichts anderes als ein mutiges Kräftemessen unter Gleichrangigen …«
»… von denen der bessere gewonnen hat«, prahlte Theseus. Er rieb sich die schmerzenden Gelenke. »Ich wußte gar nicht, daß ihr Kreter so schlechte Verlierer seid.«
Minos warf ihm einen kalten Blick zu. Zusammen mit dem leicht humpelnden Deukalion kehrte er zu seinem Tribünenplatz zurück. Jetzt mußte er nur noch ein wenig Öl in die Flammen gießen, und alles würde exakt nach Plan verlaufen.
Als die Schaulustigen die Arena verlassen hatten, begannen die Vorbereitungen für das Bogenschießen. Nun kamen Aiakos und Pallas an die Reihe, der eine drahtig, der andere kräftig und untersetzt. Beide galten als ausgezeichnete Schützen.
Sie nahmen ihre Bogen von den Holzständern, überprüften die Griffe, die zum Schutz der Hand mit breiten Leinenstreifen umwickelt waren, und die Sehnen, die straff gedreht sein mußten. Aus ihren Köchern, bunt bemalt der kretische, fellbezogen der attische, zogen sie schließlich die Weidenpfeile.
Sie standen günstig. Von seinem Platz aus konnte Minos erkennen, wie beide sich den Schießhandschuh überstreiften. Er schmunzelte, als er Aikos’ zufriedene Miene beobachtete. Erst vor kurzem hatte er dem Freund ein Paar aus feinstem Antilopenleder geschenkt. Ein winziges Hornstückchen, exakt plaziert, schützte den Daumen vor Verletzungen durch die zurückschnellende Sehne.
Minos stutzte, als Pallas vor dem Einlegen seinen Pfeil hochaufgerichtet in der Hand wog. Silbern schimmerte die Spitze im Sonnenlicht.
Das Lächeln gefror auf seinem Gesicht.
Diese Bastarde! dachte er. Das also war der eigentliche Grund für diesen Wettkampf: Sie zeigten offen ihre Eisenwaffen und demonstrierten Kreta damit unmißverständlich, daß sie zum Kampf gerüstet waren! Gallenbitter stieg die Enttäuschung in ihm hoch, und er dachte an Daidalos, der mit seinen komplizierten, langwierigen Verhüttungsversuchen nur langsam vorankam. Wie oft hatte er ihn beschworen, sich zu beeilen! So vieles hing für Kreta davon ab!
Er begann, fieberhaft zu überlegen. Dieser harte Schlag für seinen Stolz konnte das Blatt rascher wenden, als ihm lieb war. Er mußte diese Barbaren jetzt zügig auf den Platz verweisen, der ihnen gebührte.
Scheinbar teilnahmslos beobachtete er, wie Aiakos’ Pfeil von der Sehne schnellte. Ein Raunen ging durch die Menge und schwoll auf der kretischen Seite zu begeistertem Beifall an. Der Pfeil hatte das Ziel erreicht. Er steckte, leise vibrierend, im dunkelroten Herzen der Holzscheibe.
Nun war die Reihe an Pallas. Mit leisem Zischen schwirrte der Pfeil durch die Luft und bohrte sich in die Scheibe, um Haaresbreite unter dem des Kreters. Im Nu war die Tribüne leer, und alle drängten sich vor dem Holzmast, an dem die Zielscheibe befestigt war. Unwillig rückten sie zur Seite, als Aigeus und Minos näher kamen.
»Pfeil an Pfeil exakt im Zentrum!« sagte Aigeus anerkennend. »Eigentlich müßte es zwei Sieger geben.«
»Und doch ist es der kleine Unterschied, der entscheidet«, erwiderte Minos kühl. »Der Sieger heißt Aiakos. Der andere«, er zog kräftig am Pfeilschaft, bis er sich aus dem Holz gelöst hatte, »hat sein Ziel knapp
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