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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Leben bin«, erwiderte sie heftig, als hätte sie nicht gehört, was er gesagt hatte. »Zum Glück war ich schon auf dem Heimweg, als die ersten Stöße kamen. Ich hörte das Bröckeln der Mauern und habe mich platt auf den Boden geworfen. Als das Beben aufhörte, wußte ich, daß mein Warten zu Ende war. Du würdest kommen und mich holen.«
    Leidenschaftlich suchte sie seine Nähe.
    »Und die anderen? Was war mit ihnen?«
    Sie zuckte unwillig die Achseln. »Was interessiert dich das? Helle Aufregung, großes Geschrei. Aber kaum war alles vorüber, da zählten sie schon wieder ihre Habseligkeiten, keiften mit ihren Frauen und schimpften ihre Kinder aus wie alle Tage. Wie ich diese Insel hasse! Von mir aus kann sie ruhig im Meer versinken – mitsamt ihren Bewohnern!«
    »Du weiß nicht, was du sagst!«
    »Das weiß ich wohl!« fuhr Ariadne ihn an. »Und besser als du. Hast du dir einmal Gedanken darüber gemacht, was ich hier durchlitten habe? Hast du ein einziges Mal versucht, Pasiphaë umzustimmen und sie gebeten, mich nicht fortzuschicken? Du hast es vorgezogen, die Augen zu schließen und geschehen zu lassen, was die Weisen Frauen beschlossen hatten! Monatelang habe ich mir vor Heimweh die Augen ausgeweint und bin vor Sehnsucht schier vergangen – kein Wort, keine einzige Zeile von dir! Dazu der strenge Dienst im Tempel und die frommen Weiber um mich herum, die ich Tag und Nacht ertragen mußte. Gestorben bin ich hier, Asterios, jeden Tag ein Stückchen mehr!«
    Wie schön sie ist, dachte er, in ihrem Stolz und ihrem trotzigen Aufbegehren. Er nahm sie in die Arme. »Die Zeit des Sterbens ist vorbei. Du wirst leben und glücklich sein. Die Göttin ist mit den Liebenden.«
     
    Nahezu alle Bewohner von Akrotiri hatten sich mittags auf der Agora versammelt. Der Platz, den niedrige Steinhäuser säumten, war voll von Menschen. Asterios erkannte die kräftigen Gestalten der Walker und die Färberinnen an ihren Händen, die Spuren von Indigo und Safran zeigten. Er sah Töpferinnen mit lehmverschmierten Röcken, Schmiede und Seiler, Schuster und Siegelmacherinnen, Fischer, Bildhauer und Vasenmalerinnen. In der Menge standen auch ein paar stutzerhaft aufgemachte Kaufleute: Männer mit geflochtenen Bärten, die bestickte Leinentuniken trugen; ihre Frauen hatten die Augen mit Manganpuder vergrößert und die Lippen mit Lotwurz gerötet. Sie fächelten sich Kühlung mit farbenprächtigen Federn zu.
    »Welch ein Volk!« Kopfschüttelnd hatte sich Iassos, wie üblich mit Taschen und verschiedenartigsten Behältnissen beladen, den Weg durch die Menge gebahnt. Im Schlepptau hatte er zwei seiner hiesigen Gehilfen, junge, auffallend gutaussehende Männer, die Körbe voller Krokusse und Lilien trugen. Er dampfte förmlich in seinem dunkelgrünen Wollmantel und wischte sich unablässig den Schweiß von Glatze und Nacken. »Vor lauter Sorge um die Purpurwannen hätte ich beinahe deine Ansprache verpaßt!«
    Asterios gab keine Antwort.
    »Nervös? Sei unbesorgt!« zischte Iassos vertraulich. »Ich habe ein Pülverchen aus Zimt und Valeriana bei mir, das augenblicklich deine Gelassenheit zurückbringt!«
    »Halte wenigstens ausnahmsweise deinen Mund!« fuhr Ikaros ihn an. »Asterios braucht keine deiner kuriosen Mixturen! Laß ihn einfach in Ruhe!«
    Schmollend zog Iassos sich zurück und winkte die jungen Männer an seine Seite. Genau im rechten Augenblick, denn der Zug der Priesterinnen war gerade angekommen. Demonike, die den silbernen Schlangenstab in der linken Hand trug, führte ihn an. Ihr folgten die anderen Frauen in weißen Gewändern, die am Saum mit Goldfäden durchzogen waren. Goldstaub schimmerte auch auf ihren bloßen Armen und den geflochtenen Haarkronen der Älteren, während die Tonsuren der Novizinnen blau leuchteten.
    Asterios hob langsam seinen Arm, und die Menge verstummte. Der große Platz schwieg und wartete.
    Er spürte, wie seine Schläfen unter der Anspannung zu hämmern begannen. Vor ihm verschwammen die vielen Köpfe und Gesichter zu einem bunten, unscharfen Gewoge. Jetzt mußte er sie überzeugen. Davon hing alles ab.
    Er verneigte sich vor Demonike. »Ich danke dir, daß du meiner Einladung gefolgt bist, Schwester der Einen Mutter. Ich danke auch den anderen Frauen, die Ihr im Heiligtum dienen. Eure Anwesenheit ist eine Ehre für unsere Versammlung.«
    Asterios entzündete mit einem brennenden Span Weihrauch und Myrrhe im Räucherbecken. Dann wandte er sich wieder an die Menge.
    »Wir haben mit euch

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