Palast der blauen Delphine
Verfügung. Und er hatte nach langem Suchen in der Stadt die Frau gefunden, die bereit war, ihm zu geben, was er brauchte. Es fiel ihm immer schwerer, längere Zeit ohne sie zu sein.
Minos hatte ihm einen ganzen Trakt zur Verfügung gestellt. Der gesamte Südflügel der Palastanlage war großzügig unterkellert und bot Platz für die Lagerung von Erz und Holz. Über diesen unterirdischen Magazinen erhob sich ein zweistöckiger Bau, der einen eigenen Eingang besaß. Feuermeister, Erzschmelzer und tüchtige Schmiede hatte Daidalos schon aus Zakros rekrutiert und zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. »Ihr seid weder Holzschnitzer noch Steinmetze«, pflegte er zu sagen. »Sie können reden. Ihr nicht. Erwische ich einen, der seinen Mund nicht halten kann, hat er seinen Platz verloren.«
Aber niemand arbeitete gern unter ihm, denn der Athener war anmaßend und als Leuteschinder verschrien. Die Kreter konnten nicht verstehen, warum er in Wut geriet, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging. Sie waren gewohnt, so zu arbeiten, wie es schon ihre Vorfahren getan hatten; Neuerungen standen sie mißtrauisch gegenüber, vor allem, wenn sie von einem Fremden eingeführt wurden. Es kam ständig zu Konflikten.
Theseus wurde eines Tages zufällig Zeuge einer dieser Auseinandersetzungen. Daidalos war nur zu hören. »Wann geht es endlich in deinen Bauernschädel, daß die Luftzufuhr gleichmäßig erfolgen muß!«
Der Mann verteidigte sich, Daidalos aber schnitt ihm das Wort ab. »Ich bin es leid, ständig zu hören, was nicht möglich ist. Ich wünsche endlich Ergebnisse!«
Die anderen Männer hämmerten weiter. Zwei Schachtöfen waren in Betrieb; mehrere Schmiedefeuer brannten. Ein großer Amboß stand in der Mitte des Raumes; kleinere waren an den Seiten aufgestellt. Mehrere Blasebälge lagen herum, Säckchen aus Ochsenhaut mit tönernen Mundstücken, größere, die in Gestelle eingebunden waren und Bambusrohre als Windleitungen hatten.
Keiner kümmerte sich um den jungen Athener. Zwei Männer, nackt bis auf einen Lederschurz, arbeiteten am Amboß, während ein dritter neben ihnen in gleichmäßigem Takt Zeichen gab. Jedesmal, wenn er seine Hand hob, schwenkte der große Schmiedehammer ebenfalls hoch, beschrieb einen Halbkreis und landete auf einem rotglühenden Metallstück, das von einem der Männer mit einer langen Zange gehalten wurde. »Es splittert schon wieder«, rief sein Gegenüber. »Überzeug dich selbst, Daidalos!«
Wieselflink eilte er herbei und erstarrte, als er Theseus sah. »Was hast du hier zu suchen?« herrschte er ihn an. »Verschwinde augenblicklich!«
»Was macht ihr da?« Theseus starrte auf das zerbrochene Metallstück.
»Verschwinde!« schrie Daidalos. »Ich kann Kerle, die überall herumspionieren, nicht ausstehen!« Und brüllend wandte er sich an seine Arbeiter. »Wie oft habe ich euch gesagt, daß ihr niemand hereinlassen sollt!«
»Schon gut«, murmelte Theseus und wandte sich überraschend gefügig zum Gehen. »Ganz wie du willst.«
Über den Vorfall verlor er keine Silbe. Er ließ einige Tage verstreichen und hielt sich vom Südflügel fern. Als die ganze Gruppe an einem heißen Nachmittag zum Hafen aufbrach, schützte Theseus Kopfschmerzen vor. Kaum hatten die anderen das Palastgelände verlassen, stand er wieder vor der Schmiede.
Diesmal war die Zeit günstig. Die Männer rasteten im schattigen Patio; Daidalos war allein im Raum und stocherte in der Schlacke herum.
»Du schon wieder«, sagte er ärgerlich, als er ihn bemerkte. »Hau ab – du bist hier unerwünscht! Dein königlicher Vater scheint dir erstaunlich wenig Manieren beigebracht zu haben.« Daidalos’ Stimme klang resigniert und weit weniger aufgebracht als beim letzten Mal.
Theseus rührte sich nicht von der Stelle. »Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst«, sagte er ruhig. »Glaubst du, ich habe noch nie gesehen, wie man Eisen zum Schmelzen bringt?«
»Woher weißt du das?« fragte Daidalos nervös und kam ihm dabei ganz nah. Sein Atem roch streng und säuerlich.
Theseus wich ein Stück zurück. »Ich bin in Troizen aufgewachsen«, erwiderte er stolz.
»Und weiter?«
»Mein Großvater Pittheus besaß ähnliche Anlagen«, fuhr Theseus fort. »Jetzt sind sie kalt, weil er alt und krank geworden ist. Früher aber waren sie Tag und Nacht in Betrieb. Ich habe oft dabei zugesehen, wie das Erz zerstampft, gemahlen und dann gewaschen wurde. Mein Großvater hat sogar eigene Zisternen dafür anlegen
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