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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Kopf, als er die Fesseln schloß. Der rechte Vorderriemen war brüchig und beinahe aus der Verankerung gerissen. Er zog ihn fester nach. Womit sollte er sein Gesicht schützen? Nichts als achtlos weggeworfene Schuhe, umgestürzte Amphoren, Tonsplitter, Erbrochenes, Gekröse. Zeugnisse einer zügellosen Nacht.
    Schließlich entdeckte er ein dünnes rotes Tuch, das halb im Wasser lag. Er ließ seinen Schurz zu Boden gleiten. Er brauchte sich nicht zu berühren.
    Er war bereit.
    Sie war nackt bis zu den Hüften. Er strich langsam ihre Beine hinauf, erst außen, dann innen. Ihr Schoß war offen und naß. Das war der mit der Maske, schoß es ihm durch den Kopf. Der, der sie geschändet hat. Der Bruder, der sie öffentlich benutzt hat.
    Seine Zärtlichkeit verschwand. Sie hatte es geschehen lassen, hatte gestöhnt unter ihm und gekeucht. Warum stellte sie sich jetzt schlafend?
    »Du bist nicht so keusch, wie du tust«, sagte er halblaut, als er ihre Hinterbacken teilte. Seine Stimme war kalt und zornig. »Du bist keine unberührte Jungfrau mehr, kleine Phaidra.« Er lachte höhnisch. »Ich werde dafür sorgen, daß du nirgendwo mehr Jungfrau bist.«
    Sie erwachte, als er in sie drang und gab einen empörten Schrei von sich. Sie versuchte sich zu bewegen, scheute wie ein Pferd. Tat alles, um ihn abzuwerfen. Die Weiden ächzten unter ihr. Sie blieb festgezurrt.
    Auf einmal bekam sie die rechte Hand frei. Phaidra bäumte sich auf und versuchte, über die Schulter ihren Peiniger zu sehen.
    Geistesgegenwärtig griff er nach dem Tuch, das über dem Gestänge hing, und verhüllte sein Gesicht.
    Sie sah nur einen roten Schleier.
    Dann drückte seine Hand sie unbarmherzig auf die harte Unterlage, und er vollendete sein Werk.

Der Faden der Ariadne
    Das Unwetter brach los, als die Königsfamilie in Knossos angelangt war. In Karren, auf Pferden und Eseln, waren sie durch die verdörrten Ebenen gezogen. Die Felder verbrannt, der Boden klaffte in schmutzigbraunen Rissen, Steine und Felsbrocken rösteten in der Sonne. Die, die zurücksegelten, schienen besser dran zu sein. Allerdings machte eine hartnäckige Flaute das Weiterkommen auf den schwer beladenen Schiffen mühsam, und die Ruderer ächzten unter der Anstrengung. Lyktos lag bereits hinter ihnen; Amnyssos, das Ziel, war noch fern, als der Sturm begann. Innerhalb weniger Minuten war der Himmel violett; Donnerschläge krachten, so rasch hintereinander, daß die Menschen überall das Vieh in die Ställe trieben. Blitze durchzuckten die Finsternis, töteten Bauern bei der Feldarbeit, schlugen in Holzhäusern ein. Selbst in Knossos, wo viele Steingebäude Schutz boten, brannten Ställe, Werkstätten und Magazine.
    Dann begann es zu regnen, als hätte der Himmel seit Monaten sein Wasser aufgespart. Aber der Boden war zu ausgetrocknet, um es aufnehmen und speichern zu können. Bald schon wurden große Mengen Erdreich weggeschwemmt. Allerorts bildeten sich trübe Seen, die die Straßen verstopften und die Wege zwischen den Olivenbäumen in gurgelnden Schlamm verwandelten. Viele Fischer kenterten mit ihren Nachen und Booten und ertranken. Blitze trafen zwei der großen königlichen Kymben und ließen das abgelagerte Holz wie Zunder brennen. Voller Panik gingen Mannschaft und Passagiere über Bord, aber kaum jemand gelang es, sich ans Ufer zu retten. Die gesamte Ladung, einschließlich wertvoller Kultgeräte, versank in den wirbelnden Fluten.
    Es regnete zwei Tage und Nächte ohne Unterbrechung, was Bergungsversuche nahezu unmöglich machte. Als Sturm und Regen endlich nachließen, dampfte die Küste, und das Meer glich einem grauen, dickflüssigen Brei. Dichter Nebel umhüllte die Berggipfel. Selbst von den Terrassen des großen Palastes war die Sicht auf das heilige Doppelhorn verwehrt.
    Schreckensmeldungen brachten den Bewohnern von Knossos Trauer und Verzweiflung. Zwar war unter den Opfern kein Mitglied der Königsfamilie, und auch die Mysten waren heil auf dem Landweg angekommen. Dennoch gab es schmerzhafte Verluste. Balios und Paion, Asterios’ junge Gehilfen, waren auf der gesunkenen Kymbe gewesen. Ihre Leichen wurden angeschwemmt. Die meisten anderen aber lagen auf dem Grund des Meeres.
    Pasiphaë zog sich in ihre Gemächer zurück und war für niemanden mehr zu sprechen; Mirtho wich nicht von ihrer Seite. Es hieß, daß sie fasteten und Tag und Nacht beteten, um die Göttin zu versöhnen und zu bitten, weiteren Schaden abzuwenden; überall auf der Insel folgten die Weisen Frauen

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