Palast der blauen Delphine
ausstieß. Er sackte über dem Gestell zusammen.
Keuchen und Stöhnen erfüllten die Bucht. Alle liefen durcheinander, schrien, umarmten und küßten sich. Einige wanden sich auf dem Boden, liebkosten sich selbst oder streichelten die, die neben sie geraten waren. Manche schlugen sich an die Brust, einige weinten, andere brachen in Jubelrufe aus. Schon waren die ersten am Meer, rissen sich die Sandalen von den Füßen und wateten mit dem gewählten Partner in eine der Nachbarbuchten. Andere stürmten den Hügel hinauf, wo ein lichter Wald stand.
Auch um das Weidengestell herrschte dichtes Gedränge. Theseus, ein Stück mitgerissen, verrenkte sich vergeblich den Hals. Als die Sicht endlich wieder frei war, war Phaidra verschwunden. Keine Spur mehr von dem Mann mit der Maske. Das Fell lag auf dem Boden, staubig, als seien viele Füße darübergetrampelt. Im Mondlicht schimmerten die geschälten Weiden weißlich wie ein Skelett.
Er hatte genug gesehen. Der Mann mit der Maske, dachte er haßerfüllt, während er versuchte, von dem Trubel wegzukommen. Asterios, Ausgeburt der Unterwelt! Mimt den Heiligen, um dieses Ritual als Vorwand für seine perversen Gelüste zu benutzen – der Stiertänzer, der sich vor den Augen aller mit der eigenen Schwester paart!
Er spuckte aus, aber das Bild der ineinander verschmolzenen Leiber ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er sehnte sich nach Schlaf, aber daran war nicht zu denken. Die Wirkung des Tranks hatte ihren Höhepunkt erreicht. In seinen Adern floß flüssiges Feuer, seine Lenden brannten, und Zerstörungslust züngelte in ihm empor.
Asterios war vor der entfesselten Menge geflohen. Aber ihr Stampfen und Keuchen nahm er mit sich. Die Nacht schien abertausend Stimmen und Geräusche zu haben. Von überallher kam Stöhnen und Rascheln, Wispern und vereinzelt Schreie. Die Luft war erfüllt vom Geruch der dampfenden Leiber. Auch die Büsche, die Pflanzen, ja selbst die Kiesel und Steine atmeten Lust.
Das Wasser war warm und weich. Er schwamm weit hinaus, bis die Fackeln am Ufer glühende Punkte geworden waren. Lange ließ er sich auf dem Rücken treiben, bis er schließlich zurück zum Ufer paddelte.
Die Nacht der Nächte – welch ein verwirrendes, überwältigendes Erlebnis, selbst für ihn, der schon geglaubt hatte, alles zu kennen! Er dachte kurz an die Mysten, die sich wie Verlorene in diesem Aufbäumen vorkommen mußten. Dann aber schoben sich andere Bilder davor.
Phaidras erstaunter Ausdruck, als sie sie bäuchlings auf die Weiden schnallten. Der dunkelhaarige Tänzer mit der Maske, der annähernd seine Statur besaß. Aber nicht das Mondmal. Pasiphaë, den Arm besitzergreifend um die Hüfte eines sehr jungen Mannes geschlungen. Ihr trunkenes Lachen, als er gierig nach ihren Brüsten griff. So mußte sie in jener Nacht ausgesehen haben, in der er gezeugt worden war. Minos, der Eriboia auf seinen Armen wie eine Beute in die nächste Bucht schleppte. Deukalion, auf dem Boden mit einem Mädchen zu einem unentwirrbaren Knäuel aus Gliedmaßen verschlungen. Und die vielen, die vielen anderen!
Bäuchlings blieb Asterios im flachen Wasser liegen und genoß das sanfte Vor- und Zurückschwappen der Wellen. Der Kies unter ihm gab nach und ließ eine Mulde entstehen, die immer tiefer wurde. Einfach im Meer versinken. Aufgehen in den Wogen, bis nichts als weißer Schaum zurückbleibt, dachte er sehnsüchtig und fühlte, wie die Grenzen mehr und mehr verschwammen.
Wo hörte sein Körper auf? Wo begann das Wasser? Gewiegt fühlte er sich, getragen wie ein Kind im Leib der Mutter. »Wenn wir sterben, verschwinden wir wie Schneeflocken in klarer Luft«, hörte er Ikaros wieder sagen. »Unsere Form löst sich auf im Formlosen. Aber wir sind dennoch da. Sogar mehr denn je. Wenn der Fluß in das Meer mündet, wird er selbst zum Meer, das unendlich ist …«
Er vernahm ein leises Geräusch und drehte sich um. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Er wartete, bis es lauter wurde. »Du!« sagte er überrascht, als ein schmaler schwarzer Kopf näherschwamm.
»Ja, ich«, lächelte sie. »Du und ich. In dieser Nacht.«
Sie blieb neben ihm im Seichten, drehte sich aber auf den Rücken und schaute hinauf zum Himmel. »Selbst die Mondkugel leuchtet strahlender als sonst«, sagte sie. »Wie eine große gelbe Frucht. In meiner Heimat ist die Göttin des Himmels eine Frau, die ihren Leib wie eine Brücke von Ost nach West spannt. Die Gestirne segeln in Barken auf ihrem Leib
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