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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ga immer einen Ausweg. Mochte Aiakos ein tapferer Kämpfer sein – sie war schließlich eine kluge, liebende Frau.
    »Ich gehe«, sagte sie und sah ihrer Mutter fest in die Augen »Ich gehe, wenn du mich hier nicht haben willst.«
     
    Als sich die Tür hinter Ariadne geschlossen hatte, lehnte sic Pasiphaë erschöpft auf ihrem Bett zurück. Später stand sie lang auf der Ostterrasse, den Blick der Doppelspitze des heiligen Berge zugewandt, als könne sie von dort Trost oder zumindest Antwor erhalten.
    Sie war überzeugt, daß sie ihre Kinder liebte, aber es fiel ih schwer, sie zu verstehen. Es gelang ihr nur selten, sie als unab hängige Wesen mit eigenen Wünschen zu begreifen, mit Zielen die womöglich sogar im Widerspruch zu ihren eigenen standen Kam es notgedrungen zu Konflikten, stiegen nicht nur Ärger un Enttäuschung in ihr auf, sondern auch bohrende Schuldgefühle die Angst, etwas falsch gemacht oder übersehen zu haben. Manch mal wußte sie nicht mehr, wie sie sich ihnen gegenüber verhalte sollte. Dann zog sie sich zurück, was die Kinder wahrscheinlic als Kälte und Desinteresse auslegten. Sie haßte Minos dafür, daß er alles auf sie abgeschoben hatte. Auch in diesem Punkt hatte er ihre Erwartungen bitter enttäuscht.
    Als sie ein kurzes Klopfen hörte, ging sie wieder hinein. Mirtho umfaßte mit einem Blick die geöffnete Tür, den halbdunklen Raum, das blasse Gesicht der Königin. Sie wußte sofort Bescheid.
    »Es ist kühl hier, und du trägst noch dein staubiges Reisekleid«, sagte sie munter. »Du wirst dich erkälten. Komm, ich helfe dir beim Auskleiden!«
    Pasiphaë war dankbar für die geschickten Finger, die ihr aus dem Gewand halfen. Sie fröstelte und griff nach dem Umhang, den Mirtho bereithielt. Anschließend zerrieb die Amme Kräuter über einem Becher und goß aus einer Karaffe eine dampfende Flüssigkeit darüber. Im Raum entfaltete sich ein würziger Duft, und sie nickte zufrieden.
    »Es gibt nichts Besseres gegen Erkältung und Melancholie als heißen Wein mit Melisse. Trink, mein Täubchen, so lange er noch dampft. Dann wirkt er am besten.«
    Gehorsam trank die Königin und ließ sich noch zu einem zweiten Becher überreden. Wohlige Schwere stieg in ihr auf.
    »Was ist nur los mit mir?« fragte sie und zeichnete mit ihren Fingern die Silhouette der springenden Wildkatze nach, die die Wand über dem Bett schmückte. »Ich fühle mich oft nur noch schwach und verzweifelt! Es ist, als hätte ich all meine Kraft verbraucht. Ich bin müde, Mirtho. Ich mag nicht mehr kämpfen. Wozu das alles? Ich habe das Streiten mit Ariadne und die Fehde mit Minos so satt. Wer weiß, was er wieder heimlich hinter meinem Rücken plant! Manchmal würde ich am liebsten weglaufen. Vom Hof, vor den Menschen, vor allen Verpflichtungen, um endlich der Göttin wieder näherzukommen.«
    Während die Königin sprach, zündete Mirtho stumm die Kerzen in den bronzegetriebenen Kandelabern an. Ich weiß, daß du dich mutlos fühlst, dachte sie. Aber du darfst dir gerade jetzt keine Schwäche leisten. Du mußt Stärke zeigen, Tochter, so, wie di Göttin es uns gelehrt hat. Denn Sie braucht in diesen ungewisse Zeiten dringender denn je unsere ganze Kraft und Klugheit.
    »Hörst du eigentlich, daß ich mit dir spreche?«
    »Verzeih einer alten Frau, die an blauen Abenden in ihre Erin nerungen verfällt«, bat Mirtho und schüttelte die Decken auf. »Ic habe gehört, was du gesagt hast. Aber es gefällt mir nicht.«
    Überrascht sah Pasiphaë, die es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte, auf.
    »So darfst du jetzt nicht denken! Hast du vergessen, was in we nigen Tagen geschieht? Alle Hirten und Bäuerinnen der Inse kommen zu dir. Dann sammelst du nicht nur die Gaben de Großen Mutter, läßt sie aufzeichnen und verwahren. Dann bist d selbst die Herrin der himmlischen und der irdischen Welt, die Göt tin, der sie opfern – vergiß das nicht!«
    Mirtho hoffte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Von de Großen Zählung hing so vieles für Kreta ab. Der Ertrag entschie nicht nur über Reichtum oder Armut. Der feierliche Akt der jähr lichen Steuererhebung und anschließenden Opferung bot zudem die Möglichkeit der Begegnung des Volkes mit der Göttin persön lich. Denn alle auf Kreta, die die Felder bewirtschafteten oder mi den Herden umherzogen, wußten, was geschehen konnte, wen die Große Mutter grollte. Dann gab es Mißernten und Hungersnot Seuchen und Unfälle. Jeder kannte Ihr dunkles, unheilvolles Ant litz.

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