Palast der blauen Delphine
knapp und blickte sie herausfordernd an.
Wider Erwarten lächelte sie abermals. Er ist es, dachte sie, und fühlte die Freude des Erkennens in sich aufsteigen. Und er ist klug und stolz. Er ist das Kind, das ich mit meinen Händen auf die Welt gebracht habe. Er ist der Sohn, den meine Schwester Merope großgezogen hat.
Asterios starrte auf ihr nachtblaues Leinenkleid, das von einem breiten, golddurchwirkten Band gegürtet war. Ihren Hals schmückte eine goldene Spiralkette, ihre linke Hand ein massiver Ring.
»Was führt dich hierher?« unterbrach er ihr Schweigen. »Du bist keine Bäuerin.«
»Nein, das bin ich nicht«, antwortete sie heiter. Und dennoch diene ich seit vielen Jahren, dachte sie. Der Göttin und der Frau, die dich geboren hat, wenngleich ich nicht immer das tun konnte, worum sie mich bat. Ich habe Pasiphaë damals auf ihrer Flucht vor den Häschern des Königs begleitet. Als ich in der kleinen Hütte die Nabelschnur durchschnitt und das Mondmal an deiner Hüfte entdeckte, wußten wir, daß du der seit langem Geweissagte bist. Der Sohn des Weißen Stiers, wie es das Orakel prophezeit hat, der geboren wird, um einmal die Insel aus allergrößter Gefahr zu erretten. Minos und seine Freunde bereiteten damals gerade den Aufstand vor. Sie hatten sich für den Tag de Großen Zählung entschieden, um ihren Umsturz zu besiegeln Beinahe wäre diese Verschwörung erfolgreich gewesen – hätte wir nicht beherzt gehandelt. Denn Pasiphaë war nicht die starke besonnene Königin, die wir uns erhofft hatten, ist es bis heut nicht.
Hätten die Männer es sonst gewagt, nach der seit jeher über lieferten Macht der Frauen zu greifen? Die Zeiten begannen sic zu ändern. Wir mußten über neue Lösungen nachdenken. Un dafür brauchten wir Zeit. Keiner sollte dich für seine Pläne benut zen können. Deshalb solltest du unter unserem Einfluß aufwach sen. Merope brachte dich gleich nach der Geburt in Sicherheit Um dich vor dem Zorn des eifersüchtigen Königs zu schützen un vor der Liebe einer eitlen, viel zu schwachen Königin.
»Ich suche ein Mädchen«, fuhr sie fort und ließ Asterios nich aus den Augen, der mit einem Stock unruhig in der Glut herum stocherte. »Sie heißt Ariadne. Hast du sie vielleicht gesehen?«
Sein Nein platzte so heftig heraus, daß sie stutzig wurde. E wurde rot, als sie weiterfragte: »Bist du sicher? Ich dachte, si wäre hierher geritten.«
Er schüttelte den Kopf und drosch so heftig auf die Asche ein daß sie nach allen Seiten stob.
In Mirtho stieg eine dumpfe Ahnung auf, und ein Schleier ver dunkelte ihre anfängliche Freude. Er log. Sie war sich ganz sicher
Sie waren sich begegnet. Mehr noch, sie kannten sich. Ariadne auffällige Geheimnistuerei hatte sie auf die richtige Fährte ge führt. Besorgt erinnerte sie sich an das Lächeln auf dem sonst s mürrischen Mädchengesicht und an die Stunden, die Ariadne sei Tagen vor dem polierten Bronzespiegel verbrachte. Sie war sic sicher gewesen, daß nur ein Mann hinter dieser Wandlung stek ken konnte. Aber sie hatte nicht gewußt, daß er es sein würde.
Erschrocken starrte sie auf seinen braunen Schopf. Asterio mied ihren Blick.
Große Göttin, sie waren ahnungslos! Ariadne durfte ihn nicht mehr treffen. Auf der Stelle mußte sie die Villa der Königin und Elyros verlassen – bevor es zu spät war.
»Hör mir zu, Astro«, begann sie mit so großem Nachdruck, daß er überrascht den Kopf hob. »Ich bin überzeugt, du hast dich verlaufen. Weißt du nicht, daß schon in drei Tagen die Große Zählung in Elyros beginnt? Mach dich lieber auf den Weg!«
»Ich … ich werde kommen«, brachte Asterios widerwillig heraus.
»Gut«, sagte die Frau und wandte sich zum Gehen. »Du kennst deinen Weg. Ich weiß, daß du ihn kennst.«
Grußlos verließ sie ihn und verschwand zwischen den Bäumen.
Verwirrt blieb Asterios zurück. Was dachte sich diese Alte!? Zuerst bedrängte sie ihn mit neugierigen Fragen, und dann kommandierte sie ihn herum! Er hatte Ariadne versprochen zu schweigen, und er würde sein Versprechen halten! Aber er wußte, daß die Mahnung zum Aufbruch richtig gewesen war. Wer war diese Frau, die so gut Bescheid zu wissen schien? In welcher Beziehung stand sie zu Ariadne?
Beim Gedanken an die Geliebte durchflutete ihn eine Woge der Zärtlichkeit. Er würde sie fragen, er würde alles mit ihr besprechen, heute nacht, wenn er sie wieder in den Armen halten würde. Er würde ihr den Siegelring mit den tanzenden Delphinen
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