Palast der blauen Delphine
Hanges die Villa der Königin war, um die herum sich die Ansiedlung ausgedehnt hatte.
Die dreistöckige, aus hellem Sandstein errichtete Residenz stieg stufenförmig vom Flußufer empor. In ihren lichten, von Säulenhallen durchzogenen Flügeln war man auch während der Sommerhitze vor dem Sumpfklima der Ebene sicher. Die zum Teil überdachten, teils geöffneten Veranden gewährten erfrischenden Winden Einlaß. Zahlreiche Wände waren ganz in schmale Türen aufgelöst, die im Winter geschlossen werden konnten. An heißen Tagen standen sie offen und sorgten für ständige Luftzirkulation. Schattige Kühle schenkten auch die hohen Zedern und Eichen des in Terrassenstufen angelegten Gartens, der die Palastanlage vor neugierigen Blicken schützte.
Auch wenn Elyros es nicht mit Chalara oder der Alabasterpracht der Stadt Knossos aufnehmen konnte, war seine Zeit der Schilf- und Reisighütten doch längst vorbei, die den Händlern und Bauern einst an Markttagen provisorische Unterkunft geboten hatten. Die meisten Häuser waren solide, mehrstockige Steinbauten. Nur noch im Südosten der Stadt, entlang einer sandigen Flußschleife, standen am Ufer die Lehmhütten der Walker und Färberinnen. Dort lagen auch die Gruben, wo die Wollstoffe mit Natron und Urin versetzt und mit bloßen Füßen gestampft wurden, bevor sie schließlich in die Stoffpresse kamen. Von den zerriebenen und wieder aufgeschäumten Wurzeln des Seifenkrautes und den scharfen Beizlösungen stiegen, besonders während der Sommermonate, übelriechende Schwaden auf. Manchmal trieb eine auffrischende Südostbrise den beißenden Geruch in die Stadt. Dann wurden in den Räucherpfannen getrockneter Salbei und die Blütenstengel des Sennastrauches entzündet und alle Fenster und Türen fest verschlossen, bis der Wind wieder gedreht hatte.
Seitdem die Königin den Ort zum Schauplatz der Großen Zählung gemacht hatte, war Wohlstand in den Gassen und öffentlichen Bauten von Elyros eingezogen. Ein Kanalisationsnetz aus Tonröhren durchzog unterirdisch die Stadt, die stolz auf ihr frisches Quellwasser war. Die Agora, früher ein sandiges Feld, war nun mit steinernen Platten belegt. Öffentliche Brunnen sorgten auch an heißen Markttagen für Erfrischung.
Als Asterios Elyros erreichte, stand die Sonne schon tief, und die engen Straßen waren voller Menschen. Staunend sah er den geschminkten Frauen mit ihren hochgetürmten Lockenfrisuren und farbenfrohen Gewändern nach. Bei ihrem Anblick wurde seine Sehnsucht nach Ariadne so heftig, daß er jeder Frau unhöflich ins Gesicht starrte, die ihm entgegenkam. Aber die Geliebte war nicht darunter.
Junge Männer in schenkelkurzen Leinentuniken und hohen Schaftstiefeln gingen an ihm vorbei. An ihren eingeölten Armen sah er gedrehte, goldene Reifen schimmern. Die meisten aber waren einfacher gekleidet. Tischler in ärmellosen, groben Kitteln luden schwere Balken ab, ein Metzger in dicker Lederschürze zerkleinerte in seinem Laden Knochen mit einem Bronzebeil. Barfüßige Bäuerinnen in knöchellangen, ledergegürteten Wollkleidern schleppten Weidenkörbe voller Gurken, Eierfrüchte und Honigwaben. Eselskarren, beladen mit Leder- und Fellstücken, mit Bimssteinbrocken, mit Stoffballen, Tonkrügen, Salatköpfen und Melonen, bahnten sich ihren Weg durch das Gedränge.
Manche der größeren Häuser besaßen zwei oder mehr Eingänge, die nicht nur zu den Vorratsräumen im Erdgeschoß führten, sondern direkt zu den ebenerdigen Werkstätten und Läden. Hämmern und Klopfen, Sägen und Klappern drang aus den geöffneten Fenstern und Türen. Töpfer boten lautstark ihre Waren feil; Kinder jagten sich kreischend über das holprige Pflaster.
An den wettergegerbten Gesichtern und den gewalkten Umhängen einiger Männer glaubte Asterios andere Hirten zu erkennen. Schon wollte er auf sie zugehen, um sie nach dem Weg zu den Ställen zu fragen, aber eine plötzliche Scheu hielt ihn zurück. Immer weniger konnte er die Tiere zusammenhalten, die sich ängstlich gegen die steinernen Hausmauern drückten. Er sah hinauf zu den hölzernen Fensterkreuzen, die mit geöltem Pergament oder lichtdurchlässigen Schweinsblasen bespannt waren, und fühlte sich fremd und ausgeschlossen.
Sein Hund schien seine steigende Anspannung zu spüren und umrundete ihn kläffend. Einige Ziegen, verwirrt durch die ungewohnten Geräusche und Gerüche, scherten aus der Herde aus und drängten in eine Toreinfahrt. Asterios verfluchte sein sperriges Reisegepäck,
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