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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Mann, der sich Daidon nannte. Du irrst dich. Das, was du meine Reise nennst, hat gerade erst begonnen.
     
    Gegen Mittag war sie endlich mit ihren Vorbereitungen fertig. Sie hatte das gelbe Kleid erst gewaschen und in der Sonne getrocknet, bevor sie es angezogen hatte. Ihr Haar trug sie zum Zopf geflochten; zwischen ihren Brüsten baumelte das Amulett, die Sonnenscheibe zwischen dem Doppelhorn, das sie nun nie mehr ablegen würde. Die Schuhe hatte sie am Meer zurückgelassen. Dorthin, wo sie ging, würde sie sie nicht mehr brauchen.
    Sie war auf einen Bach gestoßen, der jetzt nach dem Sommer zum Rinnsal verkümmert war. Dennoch hatte sein spärliches Wasser ausgereicht, um das Salz abzuwaschen, das seit dem Bad im Meer auf ihrer Haut geprickelt hatte. Der Hunger, der sie seit dem Erwachen gequält hatte, war verschwunden. Sie hatte Beeren und ein paar Pilze gegessen, aber das war nicht das Entscheidende. Die innere Unrast, die Unzufriedenheit, die seit langem in ihr wüteten, waren verstummt. Jetzt wußte sie, was sie zu tun hatte. Sie verspürte keine Angst, nur Erlösung.
    Sie nahm Abschied. Seit gestern abend war sie mit den Menschen verbunden, die sie verlassen hatte. Die Liebe zu Asterios, die Flucht aus Kreta – all das schien so unendlich weit zurückzuliegen. Aber es war kein Traum. Es war geschehen, und sie hatte alle verraten, den Geliebten, die Mutter, den Vater, die Brüder und Schwestern.
    Vorsichtig, um ihr sauberes Gewand nicht zu beschmutzen, ließ sie sich bäuchlings auf den Boden gleiten und rieb ihr Gesicht an der trockenen Erde. Das war die Große Mutter, die sie spürte, die herbstliche, die sich in der Fülle des Sommers verausgabt hatte und jetzt den Weg in die Unterwelt antrat, um im Frühjahr erneut frische Samen in sich aufzunehmen.
    Ernst und gefaßt bat sie jeden einzelnen flüsternd um Vergebung. Sie begann bei Pasiphaë, die Mutter, zu der sie niemals den Zugang gefunden hatte. Dann Phaidra, die kleine Schwester, die sie vom Tag ihrer Geburt an beneidet hatte. Akakallis, der sie Gatten und Tochter nicht gegönnt und Xenodike, die sie vorschnell als gehorsam und reizlos abgestempelt hatte. Die Brüder, Deukalion, mit dem sie konkurriert hatte, Katreus, der ihr verschlossen und unnahbar erschienen war. Schließlich Glaukos, in ihren Augen nicht viel mehr als ein vorlauter Junge. Ihre Stimme zitterte, als sie bei ihrem Vater angelangt war. Minos hatte sie wohl am meisten Leid zugefügt – sah man einmal von Asterios ab, dem Bruder, der einst ihr leidenschaftlicher Geliebter gewesen war.
    »Verzeih mir«, flüsterte sie. »Auch wenn du bereits die Inseln der Seligen erreicht hast. Ich war zu schwach für deine Liebe. Ich konnte nicht annehmen, was du mir geben wolltest. Ach, wäre ich nur nicht deine Schwester gewesen – alles, alles hätte anders sein können! Vergib mir, Bruder, mein Geliebter, vergib mir, Astro, ich bitte dich!«
    Als sie sich langsam aufrichtete, weinte sie. Sie legte beide Hände auf ihren Leib und nahm unter Tränen Abschied von dem Kind, das in ihr wuchs und nicht geboren werden würde. »Vielleicht das nächste Mal«, sagte sie tröstend. »In einem anderen Leben. Diesmal ist es zu spät.«
    Sie mußte nicht mehr lange suchen. Sie hatte ihren Baum schon gefunden. Aus dem Kleiderbündel zog sie den Gürtel, den sie vorsorglich mit weiteren Kaurimuscheln nochmals verlängert hatte. Sie zerrte mit aller Kraft daran und nickte befriedigt. Ihre Wahl war auf einen kräftigen Ast gefallen, der weit genug über ihrem Kopf ragte. Darunter wuchs ein zweiter, genau im richtigen Abstand. Sie kletterte hinauf, warf ihren Gürtel über den oberen und knüpfte den stabilen Knoten, den Paneb und Kephalos sie vor Jahren gelehrt hatten.
    Die Hand um das Amulett geklammert, blieb sie noch eine Weile sitzen und schaute auf das Meer hinaus, wo die Wellen im hellen Licht glitzerten. Als die Sonnenscheibe den Zenit erreicht hatte, legte sie sich die Schlinge um den Hals und sprang.
    Ihr Genick war sofort gebrochen. Aber sie baumelte nur kurze Zeit. Unter ihrem Gewicht ächzte und stöhnte der Ast und begann laut zu knacken. Dann splitterte und brach das Holz, und der leblose Körper fiel zu Boden. Sie lag auf dem Boden wie eine Schlafende, bald schon von herabgefallenen Blättern bedeckt. Ariadne war zur Großen Mutter heimgekehrt.
     
    »Ariadne!«
    Er schreckte hoch aus der Meditation, in die er sich seit Stunden versenkt hatte. »Ariadni!«
    Er riß die Augen auf. Es war dämmrig

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