Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Segen der Natur, nicht der Schoß irgendeiner Mutter!« wehrte Pallas ab.
    »Ach ja?« Aigeus sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck an. »Und deine Kinder, die hat auch die Natur höchstpersönlich aus deinen Lenden entlassen, alter Freund?«
    Der andere blieb stumm. Seite an Seite starrten sie auf das Meer hinaus, das blau und beinahe glatt war, nur von kleinen Wellen gekräuselt. Wind kam auf und spielte mit ihrem spärlichen Haar. »Ein Schiff!« rief Pallas plötzlich und packte ungestüm den Arm des anderen. »Da hinten! Ich sehe es genau!«
    »Was für ein Schiff?« fragte Aigeus tonlos.
    »Ein großes … ich kann es noch nicht genau erkennen, aber es kommt rasch näher. Jetzt!« schrie er aufgeregt. »Es ist eine unserer Trieren!«
    Der Segler hielt Kurs auf den Hafen. Frischer Wind bauschte sein Segel. Es war mehrfach geflickt und in dumpfem Schwarzbraun eingefärbt.
    »Das Segel!« flüsterte Aigeus. »Sag mir eines nur: Welche Farbe hat das Segel?«
    Pallas blieb stumm und starrte auf das Meer hinaus.
    »Antworte mir gefälligst!«
    »Das Segel …«, kam es leise zurück. »Es ist … schwarz.«
    »Nein!« schrie der andere auf. »Großer Zeus, es gibt keinen Zweifel! Das ist das Schiff, auf dem unsere Kinder damals nach Kreta aufgebrochen sind! Schwarz kommt das Segel zurück – sie sind alle tot!«
    Aigeus war an den Rand der Klippe gelaufen und sah auf das Meer hinaus. Einmal noch drehte er sich halb zu dem anderen um, einen fragenden Ausdruck im Gesicht, dann drehte er ihm wieder den Rücken zu. Sein Körper streckte sich dem Wasser entgegen, das tief unter ihm an den Felsen schlug. Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, wuchs er über den Rand hinaus, bis er für einen Augenblick beinahe waagrecht zu schweben schien. Als die Sonnenstrahlen auf das Segel trafen, gab Aigeus nach und ließ sich kopfüber in den weißschäumenden Abgrund fallen.
     
    Der Mann auf dem Schiff hatte seit Tagen kaum ein Wort hervorgebracht. Der kränkliche Gelbton seiner Haut war verschwunden, und er hatte sich sogar rasiert. Dennoch wirkte er noch immer kläglich, mit den dünnen Beinen und seinem knochigen Rücken, den eine unsichtbare Last beugte.
    Der phönizische Zweimaster mit insgesamt dreißig Ruderern und einer doppelten Rahe, ein schnittiges Schiff, hatte ihn auf einem Inselchen vor Kreta an Bord genommen. Mitsegeln ließ man ihn allerdings erst, nachdem der Kapitän sich mit eigenen Augen überzeugt hatte, daß der Mann ohne Gepäck wirklich etwas besaß, um seine Überfahrt nach Sizilien auch bezahlen zu können. Zu seiner Überraschung hatte der Passagier, der sich Daidon nannte und angab, aus Naxos zu stammen, schließlich ein Beutelchen mit kleinen, flachen Kupferbarren hervorgezerrt. »Sind zwei genug?« war seine mürrische Frage gewesen. Er schien damit zu rechnen, übervorteilt zu werden.
    »Mindestens drei«, hatte der andere schnell geantwortet. »Die Überfahrt nach Sizilien ist weit. Wenn wir Pech haben, können wir in Herbststürme kommen, die Zwischenaufenthalte nötig machen. Und essen willst du unterwegs sicherlich auch.«
    »Ich habe einen schwachen Magen und kann das meiste Essen nicht gut vertragen. Etwas Brot vielleicht, ein bißchen Käse. Sauberes Wasser vor allem. Ich mache keine großen Umstände.«
    »Es kostet trotzdem drei. Du kannst gern aussteigen und zurück an Land gehen. Wir zwingen keinen zu seinem Glück.«
    Er hatte den viel zu hohen Preis bezahlt und war geblieben. Seitdem hielt er sich möglichst im Windschatten und schien ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Ein paar Mal versuchten ihn einige aus der Mannschaft vergeblich mit Scherzen aus seiner Reserve zu locken. Als er schließlich stockend herausbrachte, daß er vor wenigen Tagen seinen einzigen Sohn verloren habe, ließen sie ihn in Ruhe. Daidalos, der jetzt Daidon war, bemerkte es kaum. Er war ganz in seiner inneren Welt, wo er ungestört mit Naukrate und Ikaros sprechen konnte. Niemals zuvor war er ihnen so nahe gewesen. Auf einmal hörten sie ihm zu, ließen ihn ausreden, seine komplizierten Gedankengänge ausführlich darlegen. Durch ihre stumme Gegenwart fühlte er sich zu geistigen Höhenflügen inspiriert. Neue Konstruktionen fielen ihm ein, längst überfällige Verbesserungen an alten Erfindungen, nach denen er seit Jahren gesucht hatte. Nicht einmal ein Stück Papyrus oder eine Tontafel brauchte er dazu, um aufzuzeichnen, was ihm in den Sinn kam. Alles ruhte sicher und wohlverwahrt in seinem

Weitere Kostenlose Bücher