Palast der blauen Delphine
Mutter, verlaß uns nicht in der Stunde der Not!« Mit verzweifelter Miene schaute sie in die kleine Runde. »Warum nur haben wir nicht auf Asterios’ Warnung gehört?«
Niemand antwortete. Aber jeder schien etwas Ähnliches zu denken.
Er war kaum auf dem Gang, da schlug ihm schon brandiger Geruch entgegen. Katreus rannte los. Hinter der Eichentür quoll dunkler Qualm hervor. Beim Aufreißen verbrannte er sich die Hand, aber blindlings stürzte er hinein. »Glaukos! Glaukos, wo steckst du?«
Er kämpfte sich durch den Qualm nach vorn. Am Ende des Raums, wo die Rauchwolken am dichtesten waren, glaubte er am Boden den Umriß eines Körpers zu entdecken. Röchelnd, den Zipfel seines Schurzes gegen den Mund gepreßt, kniete er nieder und betastete ihn. Da war noch ein schwacher, unregelmäßiger Puls zu hören. Vergeblich versuchte er, den schlaffen Körper hochzuziehen. »Glaukos! Wach auf! Wir müssen sofort raus hier!«
Hinter ihm loderten hohe Flammen aus mehreren Tonkrügen. »Glaukos!« flehte er. »Mach die Augen auf!«
Beim Aufstehen fing sein Ärmel Feuer. Panisch begann Katreus, um sich zu schlagen. Schließlich wälzte er sich auf dem Boden, um den Brand auf seinem Körper zu ersticken. Längst standen die Deckenbalken in Flammen. Verglühte Holzteile fielen auf die ebenfalls mit Holz verschlossenen Ölpithoi. Ein schweres Mittelstück aus Zedernholz traf ihn an der Schläfe. Lautlos sackte Katreus über dem ohnmächtigen Körper seines Bruders zusammen.
Der Weg durch Dunkelheit und Ascheregen war so beschwerlich, daß sie erst nach einer Stunde den Tempel in Archanes erreichten. Die Stadt wirkte verlassen, nur aus ein paar der zusammengefallenen Häuser waren noch Weinen und Klagelaute zu hören. Im Vorbeireiten bemerkten sie, daß die gesamte Südseite des kleinen Palastes nicht mehr stand.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto bedrückter fühlte sich Asterios. Die Bilder waren lebendig geworden.
Der Mann mit dem Dolch. Der gebundene Jüngling. Die Luft, die nach Tod gerochen hatte.
Er hoffte, sie kämen nicht zu spät.
Wie in Trance riß er die Tür auf. Beißender Rauch ließ ihn zurückweichen. »Bleibt ihr lieber draußen!« sagte er, aber Hatasu und die Mysten folgten ihm. Zwischen glimmenden Holzteilen und Gesteinsbrocken lagen sechs leblose Körper. Vorne, auf dem Altar, Erystenes, nackt bis auf einen roten, golddurchwirkten Schurz, Hände und Füße mit Stricken gefesselt. Sein Leib war zusammengekrümmt wie der eines schutzsuchenden Kindes. Er war tot, seine Halsschlagader durchtrennt, das Blut aufgefangen in der Opferschale mit dem Stier.
Aber auch die, die ihn geopfert hatten, lebten nicht mehr. Ion und Satos, neben dem das Sichelmesser lag, entdeckte Asterios tot zu Füßen der Schwarzen Göttin. Einen anderen mußte ein brennender Balken tödlich getroffen haben. Halb verkohlt fanden sie seinen toten Körper in der Nähe des Ausgangs, als habe er noch zu fliehen versucht. Nicht weit von ihm, verschlungen in einem sinnlosen Kampf, der offensichtlich beide das Leben gekostet hatte, ein Junge und ein Mädchen. Ihm steckte der kurze Bronzedolch direkt im Herz, sie, die aus einer der letzten Mystengruppen stammte, schien verblutet zu sein.
»Aber warum?« flüsterte Hatasu. »Weshalb? Was haben sie sich von dieser furchtbaren Tat versprochen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Asterios müde. »Vielleicht der Wunsch, einen Schuldigen zu finden und ihn für etwas zu bestrafen, das sie nicht verstehen konnten.« Er sah sich um. »Wir müssen raus«, rief er. »Schnell!«
»Kommt! Hier können wir nichts mehr tun.«
Hatasu zog die Mysten nach draußen.
»Nein«, bekräftigte Asterios. »Nicht einmal ihre Leichen bergen, wenn wir nicht selbst in Kürze zu Leichen werden wollen.«
Als Minos die Magazine erreicht hatte, stand alles in Flammen. Vergeblich versuchte er, in dem schmalen Gang weiter vorzudringen, aber die Feuerwand ließ ihn nicht durch. »Sie sind da drin!« sagte er verzweifelt zu Aiakos, der ihm gefolgt war. »Glaukos und Katreus! Meine Söhne!«
»Wenn sie dort eingeschlossen sind, dann leben sie nicht mehr«, rief Aiakos erregt. »Bleib hier, Minos, ich flehe dich an! Du bringst dich nur selbst in Gefahr! Denk an die anderen, die noch leben und dich brauchen!«
»Was schert mich mein Leben!« Minos riß sich los. Dann wich er wieder zurück. »Ich komme nicht durch. Was sollen wir nur tun?«
Ringsherum prasselte es, und sie mußten sich immer wieder ducken, um
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