Palast der blauen Delphine
auch ich dir nur noch dienen kann. Dann ist Sie allein es, der du dienen wirst. Die Göttin wird unser aller Schicksal deinen Händen anvertrauen, wie es seit jeher prophezeit ist. Du wirst in Ihrem Namen handeln. Sei gesegnet, Sohn meiner Schwester, die dich aufgezogen hat. Sei gesegnet, Sohn der Frau, die ich gestillt habe.«
Unter ihren Fingern wurde es heiß. Violettes, dann blaues Licht breitete sich kreisförmig in seinem Kopf aus.
»Sei wachsam, Asterios«, sagte sie leise. »Erkenne dich selbst.«
Dann zog sie ihre Hände zurück.
Vor seinem inneren Auge erschien ein weißes Dreieck. Er spürte, wie Angst und Schrecken von ihm wichen.
»Öffne deine Augen!«
Asterios tat, wie geheißen. Auf einmal konnte er wieder hell und dunkel unterscheiden, Konturen deutlich erkennen.
»Du weißt nun, daß du die Gabe besitzt«, sagte Mirtho ernst. »Jetzt ist es an dir, sie richtig zu nutzen.«
Später wußte er nicht mehr, wie er den Abend in der Gesellschaft seiner Geschwister überstanden hatte, die Phaidras zwölften Geburtstag feierten. Das Mädchen, zum erstenmal mit Plisseerock und Mieder wie eine Erwachsene gekleidet, glühte vor Aufregung und konnte kaum sitzen bleiben. Selbst beim Spiel von Lyra und Systrum, von Kithara und Doppelflöte, zappelte sie herum, ungeduldig darauf wartend, daß Pasiphaë endlich das Zeichen zum Tanz geben würde.
Asterios wartete noch, bis die Königin zusammen mit Minos den Reigen eröffnet hatte. Als schließlich die Mysten, die man auf Phaidras Wunsch eingeladen hatte, in der großen Halle eintrafen, nutzte er die Gelegenheit, um sich zu entfernen.
Es war Mitternacht, als er nach Süden ritt. Er wollte ans Meer, zu dem Platz, wo er Ariadne zum erstenmal getroffen hatte.
Noch vor dem Morgenrot erreichte er die kleine Sandbucht und tränkte sein Tier am nahen Fluß, der deutlich weniger Wasser führte als vor ein paar Wochen. Danach schlief er unter einem Oleanderbaum tief und traumlos.
Er erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Vor ihm lag das Meer, blaßgrün am Ufer, türkisblau weiter draußen. Noch steif vom harten Lager zog er Hemd und Schurz aus und watete ins Wasser. Er schwamm ein ganzes Stück hinaus, spürte, wie sein Körper von den Wellen getragen wurde und schmeckte Salz auf seinen Lippen. Eine ganze Weile ließ er sich auf dem Rücken treiben. Gewiegt und getragen fühlte er sich, schwerelos, ganz in seinem Element. Mit geöffneten Augen stieß er hinab in das unendliche Blau und sah beim Aufsteigen durch die bewegte Wasseroberfläche die Sonne als blaßgelbe Scheibe.
Plötzlich spürte er eine Berührung an seiner Hüfte, der er instinktiv auswich. Prustend kam er nach oben. Direkt neben ihm tauchte der silbrige Leib eines Delphins aus dem Meer. Bevor Asterios es noch richtig begreifen konnte, war das Tier bereits wieder verschwunden.
Aber es kam zurück. Mit seinem Maul, das sich rauh anfühlte, stieß der Delphin Asterios mehrmals spielerisch ins Kniegelenk und rieb sich an seinem Bein. Schließlich tauchte er auf und ließ sich neben ihm treiben, keine Armlänge entfernt. Dann war er wieder weg, um plötzlich in hohem Bogen über ihn zu schnellen und geräuschvoll im Meer zu landen.
Erneut kam der Delphin nach oben, umschwamm ihn in immer engeren Kreisen und stupste ihn dann an der Schulter. Asterios streckte seine Hand aus und berührte das Tier. Die Haut war fein gefurcht; er streichelte sie behutsam. Nach den nächsten Stupsern kam er wie selbstverständlich der Aufforderung nach und klammerte sich an den Delphin. Gemeinsam pflügten sie die Wellen, und Asterios genoß die mühelose Fortbewegung.
Es gab keine Trennung mehr zwischen ihnen. Im Einswerden mit dem glatten Tierleib fühlte er plötzlich in seinem eigenen Körper die Kraft des Wassers pulsieren, die mit jeder Flut alles Verbrauchte wegschwemmte und Platz schaffte für neues Leben. Mit geschlossenen Augen sah er, wie es durch die Sonne in die Luft emporstieg und sich als Wolke über die Inseln tragen ließ, um als Regen von den Bergen wieder zurück zum Meer zu fließen. Er spürte den großen, den ewigen Kreislauf, der alle Lebensformen verband, und empfand sich selbst als untrennbaren Teil alles Lebendigen. Eine niemals zuvor gekannte Liebe zur gesamten Schöpfung überflutete ihn. Es gab kein Aufbäumen und Zweifeln mehr; es gab nur noch grenzenlose Hingabe, bedingungsloses Annehmen.
Als der Delphin langsam tiefer ging und schließlich unter ihm wegtauchte, war
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