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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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doch steckt mehr in dir, das spüre ich genau«, fuhr er schließlich fort. »Man könnte es die Potenz des Göttlichen nennen, das sich mit dem Irdischen verbindet, um es zu überwinden.« Ein kurzes, verlegenes Lachen, als habe er zuviel preisgegeben, dann erfolgte der Rückzieher. »Falls man große Worte mag! Auf jeden Fall bin ich schon jetzt gespannt, wie sich deine Kraft bewährt, wenn du versuchst, einen der schwarzen Bullen zu reiten. Ich jedenfalls kann mich noch lebhaft an einen sehr unsanften Kontakt mit der Erde erinnern!«
    Doch dazu kam es nicht. Als Asterios erstmals auf dem Rücken eines jungen Stiers saß, beherrschte er das Tier mit erstaunlicher Souveränität. Aufmerksam verfolgten die anderen seinen Jungfernritt und warteten vergeblich auf einen Sturz. Er dirigierte den Bullen mit seinen kräftigen Schenkeln und ließ sich auch durch unvermitteltes Bocken oder Ausschlagen nicht zu Fall bringen.
    Auch der Salto bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten. Bald schon war es ihm gelungen, mehrere nebeneinander aufgestellte Hindernisse in weitem Flug zu meistern, und er gehörte zu den besten in der Gruppe. Aiakos, dem seine Geschicklichkeit offenkundiges Vergnügen bereitete, warnte ihn und die anderen trotzdem immer wieder vor leichtsinnigen Aktionen.
    »Ein paar hohe Böcke zu überspringen, ist eine Sache«, sagte er, als sie abends nach dem Essen noch im Freien zusammensaßen. »Der Salto über einen galoppierenden Stier eine andere. Seid furchtlos, aber habt Achtung vor der Kraft, die euch entgegenstürmt. Das gilt besonders für diejenigen, die sich nicht mehr viele Gedanken um ihre Technik machen müssen.«
    Asterios hatte seinen Blick deutlich auf sich gespürt und ausweichend den Kopf gesenkt. Obwohl er den Lehrer mochte, war ihre Beziehung von Anfang an ein wenig verkrampft gewesen.
    Zuerst hatte er es auf seinen Sonderstatus geschoben, aber selbst nachdem er zu den anderen Mysten in eines der flachen, sparsam eingerichteten Steinhäuser umgezogen war, blieb ein Rest von Spannung zwischen ihnen bestehen.
    Es gab getrennte Gebäude für Mädchen und Jungen; Asterios teilte gleich im ersten Jungenhaus, das dem Palast am nächsten lag, das Zimmer mit Bitias. Der blonde, schmächtige Athener war der jüngste in der Gruppe und hoffte, wie er Asterios bald schon anvertraut hatte, noch immer sehnsüchtig auf einen Wachstumsschub. Mit seinen kurzen Beinen hatte er einige Probleme beim Starten und Laufen und gehörte zu denen, die immer wieder von Aiakos verbessert werden mußten.
    »Ich bin einfach unbegabt«, seufzte er ständig während des Trainings und zeigte bekümmert seine weißen, spitzen Zähne. Mit seiner kleinen Knubbelnase und dem flachsblonden Haar wirkte er naiv und kindlich. Auch seine Stimme war hell geblieben und hatte ihm von den anderen schon manchen Spott eingetragen. »Und wenn ich noch so viel übe, ich weiß, ich werde es nicht fertigbringen!«
    Erwartungsgemäß forderte Aiakos ihn zur Wiederholung auf. Bitias ging zurück an den Start, nahm Anlauf und schaffte es diesmal, über die hintereinander aufgereihten Stämme zu kommen. Seine Landung war allerdings ziemlich wacklig.
    Aiakos war nicht zufrieden. »Weicher in den Knien!« kritisierte er. »Sei nicht so steif wie ein geleimtes Brett! Und gleich noch einmal! Das gilt nicht nur für dich, sondern auch für alle anderen – los, los, an die Arbeit!«
     
    Einen Tag vor dem Stiersprung gab es eine Änderung im üblichen Ablauf. Nach einem kürzeren Morgenlauf und einigen Dehn- und Lockerungsübungen gab Aiakos den Mysten bis zum frühen Abend frei. Sie sollten diesen Tag in Ruhe und Stille verbringen, um sich auf das morgige Ereignis einzustimmen.
    Asterios, der schlecht geträumt hatte und unaufhörlich an Ariadne dachte, war froh, als Bitias schüchtern fragte, ob er ihn begleiten dürfe. Sie gingen nicht weit, nur bis zu dem Teich, der früher eines der größeren Wasserreservoires von Phaistos gewesen war. Seitdem jedoch die Leitung zu den Bergen fertig war, gönnte man sich im Palast den Luxus, frisches Quellwasser über eine größere Distanz herbeizuschaffen.
    Dort, zwischen Schilf und Riedgräsern, saßen sie eine Weile, bis die Sonne zu heiß geworden war und sie sich einen schattigeren Platz suchen mußten. Wiederholt hatte Bitias ihm schon von seiner attischen Heimat erzählt. An jenem Tag aber machte ihn seine innere Unruhe vor dem Stiersprung offenbar besonders mitteilungsfreudig.
    Asterios schloß die Augen und

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