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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Asterios bereit, geschehen zu lassen, was geschehen sollte.

ERDE
    Das Kind, das Akakallis geboren hatte, war eine gesunde Tochter. Am Hof zu Phaistos wurde das freudige Ereignis ausgiebig gefeiert und von der gesamten Priesterinnenschaft der Insel mit Opfern, Fackelläufen und Dankgebeten an die Göttin begangen. Sie hatten nach der Befragung des Orakels dem kleinen Mädchen den Namen Dindyme gegeben und sie damit der Großen Mutter der Berge geweiht.
    Bald nach der Niederkunft versammelten sich Pasiphaë und ihre Familie am Wochenlager und bewunderten das kleine, rotgesichtige Bündel, das schon jetzt einen dichten schwarzen Haarschopf besaß. Sogar Ariadne hatte sich kurz bei ihrer Schwester gezeigt, wenngleich sie sich schon bald wieder entschuldigt hatte. Sie behauptete, es gehe ihr gut, obwohl sie ungewohnt still war. Noch bevor die anderen Familienmitglieder kamen, hatte sie sich wieder zurückgezogen.
    Jeder hatte einen Talisman als Geschenk für das Kind mitgebracht: Perlen, Muscheln, Kieselsteine mit besonderer Zeichnung, Ambra oder bemalte Lederstückchen. Von Minos stammte das goldene Siegel, das an einer Lederschnur um den Hals des Neugeborenen baumelte und die Schutzwirkung des Namens verstärken sollte.
    Die Geburt war schwierig gewesen und hatte beinahe den ganzen Tag gedauert. Mirtho war darauf vorbereitet gewesen. Schon die Wochen zuvor hatte sie vergeblich versucht, das Kind durch Massieren noch im Mutterleib in eine andere Lage zu bringen. Zusammen mit zwei Hebammen war ihr in Schwerstarbeit gelungen, es dennoch unversehrt aus der Steißlage zu entbinden.
    Akakallis hatte allerdings viel Blut verloren und sah bleich und mitgenommen aus. Bettruhe und Teeaufgüsse von getrockneten Himbeerblättern wirkten entzündungshemmend und würden ihr helfen, bald auf die Beine zu kommen. Dennoch hatte sie darauf bestanden, ihr Kind selbst zu stillen. Der ovale Stein zwischen ihren Brüsten trug dazu bei, den Milchfluß anzuregen, denn Dindyme zeigte bemerkenswerten Appetit.
    Die beiden waren so miteinander beschäftigt, daß der junge Vater sich daneben wie eine Randfigur ausnahm. Obwohl Ikstos einer reichen, adeligen Familie entstammte, war er ein schüchterner Mann, der das Reden lieber seiner temperamentvollen Frau überließ. Fast hätte man ihn für einen weiteren Sohn von Minos und Pasiphaë halten können, so unauffällig hatte er sich in ihre Nachkommenschaft eingegliedert. Er war ebenso schlank, ebenso dunkelhaarig wie Akakallis, die er bereits seit Kindertagen kannte. Auch ihre Geschwister waren schon seit langem Freunde für ihn. Besonders eng aber hatte er sich in den letzten Jahren an Deukalion angeschlossen, den er wegen seiner Selbstsicherheit bewunderte.
    Asterios hatte seine Übungen nur kurz unterbrochen. Allerdings ließ ihn der Anblick des innigen Mutter-Kind-Bildes traurig werden und überschwemmte ihn mit einer Flut von Erinnerungen an seine eigene Kindheit. Sogar den unverwechselbaren Amberduft Meropes meinte er im Raum wahrzunehmen. Er war froh, daß er einen triftigen Grund hatte, um sich bald wieder zu verabschieden.
    Für die letzten Tage vor dem Stiersprung hatte Aiakos das Trainingsprogramm verschärft und achtete genau auf dessen Einhaltung. Vorbei waren die Tage, an denen die Mysten mit Kälbern geübt hatten, um allmählich ein Gefühl für Temperament und Bewegungsablauf der Tiere zu entwickeln. Aber selbst diese schrittweise Eingewöhnung schien nicht für alle aus der Gruppe das richtige Tempo gewesen zu sein. Mehr als einen der Heranwachsenden quälte noch immer die tiefsitzende Angst vor der direkten Begegnung mit dem Stier.
    Ganz anders Asterios, den das wilde Spiel vom ersten Augenblick an fasziniert hatte. Er sehnte den Moment herbei, wo er in der sandbedeckten Arena stehen und mit dem oft geprobten Sprung über den Stierrücken setzen würde.
    »Du bist ihnen so ähnlich«, hatte Ikaros einmal zu ihm gesagt, als sie in der Abenddämmerung am Gatter gestanden und einem spielerischen Kampf zwischen zwei jungen Bullen zugesehen hatten. Eine stille Freundschaft hatte sich zwischen ihnen entwickelt, und Asterios freute sich jedesmal, wenn Ikaros vorbeikam und ihm beim Üben zuschaute. Manchmal allerdings beunruhigte ihn, was der andere eher beiläufig äußerte. »Diese geballte Kraft des Irdischen hat sich auch in deiner Person materialisiert.«
    Erstaunt hatte Asterios ihn von der Seite angeschaut. Ikaros war der einzige in Phaistos, der solche Dinge zu ihm sagte. »Und

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