Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
spüren. Geborgen fühlte er sich, endlich heimgekehrt.
    Erst nach einer Weile löste Merope ihre Umarmung und schob ihn ein Stück von sich weg, um ihn in Ruhe betrachten zu können. Da erst bemerkte Asterios die Veränderung, die er im ersten Augenblick nicht wahrgenommen hatte. An Stelle des Wollkleides, das er an ihr kannte, trug sie ein dunkelrotes, knöchellanges Gewand aus feinstem Leinen. Ihr Haar war kunstvoll frisiert; ihren Hals zierte eine silberne Mondaxt.
    Auch ihr Gesicht kam ihm fremd vor. Hoheitsvoll, fast streng erschien ihm der Ausdruck ihrer dunklen Augen, und um ihren Mund bemerkte er einen neuen, beherrschten Zug.
    Sie erwiderte seinen Blick und nickte leicht. »Ja, ich bin nach Knossos zurückgekehrt. Obwohl ich mir vor vielen Jahren geschworen hatte, niemals wieder einen Fuß hierherzusetzen. Minos hat mich nicht lange überreden müssen. Ich bin hier, weil ich gebraucht werde.«
    »Minos?« wiederholte Asterios ungläubig. »Er? Von ihm hast du nichts Gutes zu erwarten! Immer wieder hat er versucht, mich nach dir auszufragen. Ich glaube fast, er haßt dich.«
    »Das glaube ich gern«, lächelte sie. »Er haßt mich, weil er unsere Kraft fürchtet, die Macht der Frauen, die ihn trotz aller Bemühungen immer wieder auf seinen Platz verweist und jeden seiner ehrgeizigen Pläne scheitern läßt.«
    »Warum hat er dich dann nach Knossos geholt?«
    »Weil er mich braucht. Ich bin eine der Hohepriesterinnen, die den höchsten Grad der Einweihung besitzen. Später einmal wird auch Phaidra dazu gehören. Jetzt aber sind nur noch Pasiphaë und Akakallis mit mir auf einer Stufe: seine Frau, die er noch mehr als mich fürchtet, und die Tochter, die erst vor kurzem eine Tochter geboren hat. Niemand außer uns dreien kann euch die Kunst des Kranichtanzes lehren. Wir allein können euch Mysten sehend machen.«
    Es war nicht das Kleid oder die Haartracht, die die Mutter seiner Kindertage so verändert hatten. Die erstaunliche Wandlung entsprang ihrem Innersten. Die Frau, die vor Asterios stand, wirkte wie eine Herrscherin, eine Frau, die es gewohnt war, zu befehlen. Er konnte nicht anders, er mußte vor ihr niederknien.
    »Ich grüße dich, Merope, Priesterin der Großen Mutter«, sagte er. »In deine Hände lege ich mein Schicksal.«
    »Ich danke dir, Asterios«, entgegnete sie ruhig. »Dein Name bedeutet ›der Sternengleiche‹. Ich weiß, du trägst ihn zu Recht.«
     
    Am nächsten Morgen traf Asterios die Mysten. Hier, in Knossos, waren sie im südlichen Trakt des riesigen Palastes untergebracht. Ihre Räume befanden sich im Erdgeschoß, links und rechts eines langen, kaum beleuchteten Ganges. Alle vermißten den Garten von Phaistos mit seinen alten Bäumen, den beschnittenen Büschen und Blumenbeeten. Hier gab es weder Ausflüge in die Umgebung noch nachmittägliche Segelpartien. Der große Bau hatte sie verschluckt und würde sie erst wieder freigeben, wenn sie dem Dunkel des Labyrinths heil entronnen sein würden.
    Ihre Köpfe waren frisch geschoren, und sie wirkten sehr fremd mit ihren blanken Schädeln. Manchen stand der kahle Kopf ausgesprochen gut und brachte Hals und Nackenschwung vorteilhaft zur Geltung. Die meisten aber sahen ohne ihre Haarpracht eher kümmerlich aus.
    Bitias begrüßte Asterios freudig und wollte sofort wieder sein Zimmernachbar sein. »Du kommst auch noch unter das Messer, warte nur!« prophezeite er. »Dann kann das Licht ungehindert in dich eindringen.«
    Unter den wachsamen Augen Meropes kürzte wenig später ihre Gehilfin Butho sein Haar zu Borsten, seifte seinen Kopf mit aufgeschlagenem Lavaschaum und setzte die scharfe Klinge an. Nach getaner Arbeit zeichnete sie das Segenszeichen der Göttin über seinem rasierten Schädel.
    Die blanke Haut fühlte sich kühl an. Immer wieder ließ Asterios die Finger über seinen Kopf gleiten und tastete nach der einzigen Strähne am Hinterkopf, die Buthos Messer nicht zum Opfer gefallen war.
    Am Nachmittag rief Merope sie zum Training. Die Übungen fanden auf dem Choros statt, der nahe beim Palast in einem Zypressenhain lag. Der Tanzplatz war mit dunklen Schieferplatten bedeckt, durch die sich rosenfarbene Marmorschleifen zogen. An seiner Stirnseite führte ein Eingang, der mit einem Flügelportal verschlossen war, in den Felsen hinunter. Auf dem verwitterten Holz glaubte Asterios zwei schwarze, ineinander verschlungene Schlangenleiber zu erkennen.
    Die Mysten stellten sich im Kreis auf und begannen mit ihren Übungen. Merope ging

Weitere Kostenlose Bücher