Palast der blauen Delphine
langsam von einem zum anderen, korrigierte Haltung und Bewegungsabläufe.
»Ihr verkörpert edle Kraniche, keine Störche, die im Sumpf waten!« sagte sie zu zwei schlaksigen jungen Athenern. »Denkt an die Vogelgöttin, die wir in dieser Gestalt verehren!« Sie machte ein paar wiegende Schritte, die anmutig und leicht wirkten. »Der Kopf bleibt dabei ganz locker, wie Glockenblumen, die sanft der Wind bewegt. Und vergeßt nicht eure anderen Glieder dabei – Arme! Hände! Finger!«
Asterios war zunächst unschlüssig am Rand stehengeblieben. Merope nahm ihn ein Stück beiseite. »Du weißt, daß die anderen schon seit ein paar Wochen die Schritte und Figuren üben?«
»Ich habe mich schon daran gewöhnt, daß ich alles immer schnell aufholen muß. Ich werde mir Mühe geben.«
»Ich weiß nicht, ob das reicht. Du wirst nämlich der Tanzführer sein, der dem Reigen voranschreitet.« Meropes Stimme klang besorgt. »Uns bleibt nur eine gute Woche. Bis dahin mußt du alles beherrschen.«
»Meinst du, daß es zu schaffen ist?«
»Nur wenn du in dieser Zeit alles Nebensächliche vergißt«, erwiderte sie schließlich. »Siehst du die Linien auf dem Boden?«
Sein Blick folgte den Marmorbändern, die verschlungene Windungen bildeten. Er nickte.
»Dann stell dich jetzt an die Spitze der Tänzer, und ich werde dir den Ablauf erklären. Die Schritte selbst sind einfach, du mußt dich auf die Figuren konzentrieren.«
Die Mädchen und Jungen faßten sich an den Handgelenken und tanzten im Dreierschritt von links nach rechts. Anschließend wandten sie sich nach links, bis sie schließlich singend stehenblieben.
»Gut gemacht!« lobte Merope. Sie hatte gesehen, wie Asterios nach anfänglichem Stolpern den Rhythmus der Gruppe aufgenommen hatte. »Ihr seid zunächst nach rechts geschritten, wie auch der Himmel sich von Ost nach West dreht. Dann nach links, wie Sonne, Mond und die Planeten, die von Westen nach Osten eilen. Schließlich habt ihr innegehalten, gleich der vom Himmel umkreisten Erde, die unbeweglich im All steht. Das ist der festliche Auftakt, bevor der Geranulkos sein Nest errichtet und in den Hain seiner Kranichkönigin eindringt.«
Zwei Mädchen hatten zu kichern begonnen, und sie schickte ihnen einen strengen Blick, bevor sie weiterfuhr. »Das Labyrinth, das auf euch wartet, nimmt eben diesen Verlauf. Wie wollt ihr wieder herauskommen, wenn ihr nicht wißt, in welche Richtung ihr gehen sollt?«
Es wurde augenblicklich still. Sie wandte sich an Asterios. »Schau genau zu, für dich wiederholen wir alles noch einmal!«
Die Mysten bildeten zwei neue, kleinere Kreise. Diesmal verband sie ein starkes, leuchtend rotes Seil. Einer hinter dem anderen, Mädchen und Jungen im Wechsel, umkreiste das Zentrum des Choros in zunächst weiten, dann immer engeren Bögen.
»Mit dieser Bewegung bündelt ihr die Energie«, rief Merope. »Stellt euch eine Welle vor, die ihr mit euren Körpern bildet!«
Sie ließ sie die Übungen mit Asterios wiederholen, einmal, zweimal, wieder und wieder. Gereiztheit stieg in ihm auf, und seine Figuren fielen zunehmend lustloser aus. Der Schrittreigen kam ihm immer gestelzter vor. Und als er sich umschaute, fand er die eifrigen Gesichter seiner Gefährten lächerlich.
Das also war der Kranichtanz, der so wichtig für seine Entwicklung sein sollte! Ihm kam er vor wie ein kindischer Ringelreihen.
Merope war sein Abschweifen nicht entgangen. Scharf wies sie ihn an, in die Mitte zu kommen und nachzutanzen, was sie ihm vormachte. Der Paarungstanz der Kraniche, eine neunteilige Schrittfolge, unterbrochen von drei Sprüngen, die das Auffliegen der Vögel bei der Hochzeit darstellte, erschien ihm verwirrend und kompliziert.
Unwillig begann Asterios. Sein Körper kam ihm ungelenk und steif vor, und er fühlte sich vor den anderen unsicher. Merope ließ ihm keine Nachlässigkeit durchgehen, bis er seine Schritte fehlerfrei setzte. Selbst dann hatte sie noch immer etwas an seiner Haltung zu kritisieren.
Abgesehen von einer kurzen Pause probten sie ohne Unterbrechung bis zum Abend. Dann erst kehrten sie in den Palast zurück. Als die meisten Schüler sich bereits zur Ruhe begaben, ließ sie Asterios zu sich rufen.
Meropes Zimmer, das ihm gestern im Kerzenschein als Hort der Geborgenheit erschienen war, empfand er heute als karg und abweisend. Selbst das Wandgemälde, auffliegende blaue Vögel zwischen Felsen und Rosenbüschen, schien etwas von seiner Leuchtkraft verloren zu haben.
»Willst du
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