Palast der blauen Delphine
Augen und ging nach innen. Blaues Licht umhüllte ihn, und er begann zu sehen.
Er ist in einem dunklen, niedrigen Raum, den nur das flackernde Licht einer einzigen Fackel erhellt. Er ist nicht allein. Mehr Schatten als Gestalt, spürt er die Gegenwart des anderen, der nur eines will: seinen Tod.
Er selbst trägt die lederne Maske des Stiers, die ihm den Atem nimmt und die Sicht nur durch schmale Schlitze freigibt. Er versucht, sie abzunehmen, aber es gelingt ihm nicht. Schließlich gibt er auf.
Gerade noch rechtzeitig, um dem Hieb des Gegners auszuweichen, der seinen linken Arm tief geritzt hat. Dessen Haare erinnern ihn an ein sommerliches Weizenfeld, seine Augen sind hell und wütend. Im unsteten Licht schimmert das kurze, silberne Schwert in seiner Hand. Er holt aus und fährt ihm mit voller Wucht in den linken Schenkel.
Asterios schreit laut auf; er brüllt, so laut er kann. Fassungslos starrt er auf die breite Blutbahn auf seinem Bein und versucht, die klaffende Wunde mit den Händen zusammenzuhalten.
Der andere aber läßt ihm keine Zeit. Er hat ihn ganz in die Ecke getrieben, mit dem Rücken zur felsigen Wand, wo es kein Entkommen mehr gibt. Wieder hebt er die Schwerthand. Sein Schrei übertönt das laute Keuchen des anderen, und seine Todesangst hallt wider von den uralten steinernen Mäandern, die vor ewigen Zeiten gelegt wurden. Denn die Zeit des Stiers geht zu Ende …
Diesmal waren die Bilder stärker gewesen als je zuvor. Er hatte keine Ahnung, wieviel Zeit inzwischen vergangen sein mochte. Als er schließlich seine Augen öffnete, sah er Deukalion, der sich über ihn beugte. Das gutgeschnittene Gesicht mit der kühnen Nase und den blauen Augen, das Frauen wie Männer gleichermaßen anzog, hatte einen besorgten Ausdruck.
»Wo bin ich?« fragte Asterios matt und wußte im gleichen Atemzug wieder, wo er sich befand. Er war im Wald. Die Jagd war vorbei und der Stier tot. Und er würde ebenfalls sterben.
Was hatte er gesehen? Wer war der mit den wütenden Augen, der ihn niedergemetzelt hatte?
Einen Moment war er versucht, mit Deukalion über seine Vision zu sprechen. Aber was sollte er ihm sagen? Wie sein bedrohliches Gesicht erklären? Der Anfall von Mitteilsamkeit verflüchtigte sich ebenso schnell wie er gekommen war.
»Im Wald«, beruhigte ihn Deukalion, »und alles ist in Ordnung. Der Stier ist tot. Ich mußte mit dem Speer nachhelfen, weil sein Lebenswille stärker war als meine Pfeile.«
Asterios versuchte aufzustehen, Deukalion aber hielt ihn noch mit sanfter Gewalt auf den Waldboden zurück. »Da gibt es nichts mehr zu sehen. Die Burschen haben die Beute schon weggetragen. Kannst du gehen?«
»Natürlich kann ich gehen!« Asterios stand auf. Er versuchte, das Zittern in seinen Beinen so gut wie möglich zu unterdrücken. »Ich falle nicht um, nur weil ich ein bißchen Blut zu sehen bekomme! Mir ist nur schwarz vor Augen geworden, weil …«
»… es schon nach Mittag ist, und du noch nichts im Magen hast!« sprang Deukalion ihm bei. »Soll ich dich noch ein Stück stützen? Nur bis zum Waldrand. Danach gehst du allein.«
Von fern schon hörten sie die Stimmen der anderen. Es roch nach gebratenem Fleisch und Most, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Lieder angestimmt wurden. Asterios entwand sich dem Griff Deukalions und lächelte leicht verlegen.
»Wieder alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung!« bekräftigte Asterios.
Der Dampf war so dicht, daß Ikaros zunächst nichts erkennen konnte. Erst als die Schwaden des Aufgusses sich gelichtet hatten, entdeckte er Deukalion. In gelöster Haltung saß er auf der obersten Stufe der Treppe, die hinab zum Becken führte. Sein wohlproportionierter Körper, den unzählige Schweißperlen bedeckten, erinnerte ihn an altes, blankgeriebenes Gold. Deukalions Schönheit traf Ikaros wie ein Hieb. Es kostete ihn einige Überwindung, seinen Schurz zu lösen und sich nackt ein Stück entfernt neben ihn zu setzen. Er starrte auf seine dünnen, haarigen Beine und wünschte sich abermals vergeblich, sein Brustkorb wäre weniger knochig.
Deukalion öffnete nur kurz die Augen und begrüßte ihn mit einem kleinen Schnauben. Nach kurzer Zeit erhob er sich und tauchte bis zum Hals in das blaue Fayencebecken, das mit kaltem Wasser gefüllt war. Ikaros folgte ihm. In dem eisigen Naß hielten sie es nicht lange aus. Prustend sprangen sie heraus und rieben sich anschließend mit den weichen Wolltüchern trocken, die in verschwenderischer Fülle
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