Palast der blauen Delphine
verstummte die laute Unterhaltung zwischen Minos und Pasiphaë. Die Königin, noch im staubigen Reisemantel, wirkte übernächtigt; Minos sah ärgerlich aus. Beim Anblick der Tochter jedoch entspannte sich sein Gesicht.
Phaidra flog in die Arme ihrer Mutter. »Ich dachte schon, du kommst nie mehr wieder!«
Pasiphaës Lippen verzogen sich zu einem feinen Lächeln. Minos runzelte seine Stirn.
»Das klingt ja so, als wäre die Zeit hier in Knossos ganz schrecklich gewesen«, sagte er gekränkt. »Dabei hatte ich den Eindruck, es habe dir Spaß gemacht, bei deinem alten Vater zu sein.«
»Schau nicht so finster!« Phaidra lächelte ihn versöhnlich an. »Natürlich war es schön, mit dir nach Amnyssos zu reiten und zuzusehen, wie die Flotte winterfest gemacht wurde. Und beim Bronzegießen zuzuschauen!« Sie strahlte Pasiphaë an. »Vater hat mir so viel von Talos, dem Gott der Schmiede, erzählt.«
»Du darfst nicht alles wörtlich nehmen, was dein Vater sagt.« Pasiphaë küßte sie auf die Stirn, warf Minos aber einen wütenden Blick zu. »Früher glaubte man, der Riese Talos wohne als Herr der Erze in der Tiefe der Erde und hatte Angst, er könne zu grollen beginnen, weil es ihm dort zu einsam sei. Doch das sind nur Märchen, Phaidra, Geschichten, die man sich für einfache Leute ausgedacht hat.« Ihre Stimme wurde scharf. »Es gibt keinen Gott namens Talos, weil es nur die Große Mutter gibt. Ich bin seit vielen Jahren Ihre Hohepriesterin, und schon bald wirst auch du in Ihre Dienste treten. Sieh mich an!« Pasiphaë streichelte Phaidras runde Wangen, bevor sie das Segenszeichen über ihren Scheitel zeichnete. »Du bist zu Großem ausersehen, mein Augenstern«, murmelte sie zärtlich. »Und jetzt sei brav und laß uns allein. Wir haben Wichtiges zu besprechen.«
»Kann ich nicht hierbleiben? Ich werde ganz still sein.«
»Tu, was deine Mutter sagt!« antwortete Minos unwirsch. Er hatte sich auf der Bank an der Stirnseite des Raumes niedergelassen und wärmte seine Hände an einem der Kohlebecken. Zusätzlich zum Kaminfeuer sorgten sie für wohlige Wärme im Raum.
»Aber ich habe noch gar nicht gefragt, ob ich morgen mit Deukalion, Asterios, Ikaros und den anderen auf die Jagd gehen darf«, wandte sie ein. »Sie haben mir schon vor Wochen versprochen, daß sie mich mitnehmen.«
»Ein kleines Mädchen wie du hat nichts dabei zu suchen, wenn erfahrene Jäger das Wild stellen.«
»Ich bin fast dreizehn«, beharrte sie verletzt. »Ich muß dabei sein!«
»Du mußt nicht immer deinen Willen durchsetzen, Phaidra«, sagte er barsch. »Vor allem nicht, wenn es um Angelegenheiten geht, die Männer betreffen.«
Phaidras Augen funkelten angriffslustig. »Aber Jagen ist keine Männersache, Vater! Die Große Mutter ist auch die Herrin der Jagd. Mirtho hat mir erzählt, daß die Frauen auf Kreta schon immer den Bogen gespannt und Netze ausgelegt haben.«
»Ich werde dir gleich zeigen, was du haben kannst, wenn du nicht augenblicklich still bist! Ich mag keinen Widerspruch von meinen Kindern.«
Phaidras dunkle Augen füllten sich mit Tränen, aber sie brachte es fertig zu schweigen. Nach einem kurzen Blick zu Pasiphaë, die leicht den Kopf schüttelte, verließ sie das Zimmer.
»Wie sie dich hassen muß!« Pasiphaë hatte den Umhang abgelegt und stand nun mit dem Rücken zu ihm am Kamin.
»Darauf hast du schließlich lang genug hingearbeitet!« Minos trat zu ihr und packte ihren Arm.
»Laß mich los, du tust mir weh! Was fällt dir ein?«
Er zog sie noch enger heran. Küßte sie hart auf die Lippen. »Du hast ganze Arbeit geleistet, mein Täubchen«, flüsterte er in ihr Ohr, während sie ihren Widerstand verstärkte. »Beinahe ist es dir gelungen, mir auch dieses Kind zu entfremden – so wie die anderen.«
»Unsinn!« Pasiphaë wand sich empört in seinen Armen.
Er ließ sie so plötzlich los, daß sie taumelte. »Unsinn!« lachte er bitter auf. »Ja, du hast recht, meine Schöne! Es ist mehr als unsinnig, daß Androgeus in die tödliche Falle gegangen ist und Deukalion seine Zeit lieber mit Ikaros verbringt als mit seinem Vater! Daß Katreus schon lange eigene Wege sucht und Akakallis kein Vertrauen zu mir hat. Daß Xenodike ins Schwitzen gerät, wenn ich nur in ihre Nähe komme. Ganz zu schweigen von Glaukos, der sich in alberne Scherze flüchtet!«
»Du hast meinen Sohn Asterios bei deiner Aufzählung vergessen«, unterbrach sie ihn kühl. »Falls du das Heer deiner Bastarde, das dir Mägde und
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