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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Schankkellnerinnen geboren haben, nicht mitzählen möchtest.«
    »Ich rate dir, meine Geduld nicht übermäßig zu strapazieren«, sagte er drohend. »Immerhin gehört Asterios jetzt zu den Mysten und geht den Einweihungsweg, anstatt …«
    »… anstatt um sein Leben fürchten zu müssen?« fuhr Pasiphaë an seiner Stelle fort. »Schade, daß dein schöner Plan damals mißlungen ist! Sonst wärst du vermutlich schon lange an deinem Ziel: du, der Herrscher Kretas!« Sie tippte leicht an seine Brust und lächelte gefährlich. »Aber die Königin bin ich! Niemals wird ein Mann auf dem Greifinnenthron sitzen, niemals, hörst du! Ich besitze den höchsten Grad der Einweihung. Und ich hüte das alte Wissen! Du bist mein Gemahl, weiter nichts.«
    Minos war sehr blaß geworden. »Hör endlich auf, dich an veraltete Traditionen zu klammern! Jetzt müssen wir handeln – jetzt! « In ihren Augen suchte er vergeblich nach einem Zeichen des Einverständnisses. »Ich verschwende wahrscheinlich nur meine Zeit; aber ich kann nicht anders. Kreta ist in Gefahr, auch wenn du es nicht sehen willst: Die Athener versuchen immer unverhohlener, unsere Handelsmacht zu brechen und die Verträge zu unterlaufen, die wir mit ihnen geschlossen haben. Lebten nicht ihre adeligen Kinder bei uns – ich bin ganz sicher, daß sie schon längst schwerbewaffnet an unserer Küste gelandet wären! Man hat mir berichtet, daß sie große Fortschritte auf dem Gebiet der Verhüttung gemacht haben, und wenn es uns nicht gelingt, schnell aufzuholen, dann …«
    »Macht! Erobern! Waffen! Das ist alles, worum es dir geht!« Verächtlich erhob sie ihre Stimme. »Für dich sind die Zeremonien wertlos, die dem Land Segen bringen, die das Vieh gedeihen und die Ernte reifen lassen!«
    »Ich glaube kaum, daß sie viel nützen, wenn der erste Athener dir mit einem eisernen Schwert entgegenstürmt«, antwortete Minos ernst. »Dein schönes Reich wird untergehen, wenn du dich der neuen Zeit nicht öffnest.«
    »Du weißt nicht, was du da sagst!«
    »Doch, ich weiß es! Ohne mich, meine Königin, kannst du nur verlieren. Laß uns diesen Barbaren gemeinsam die Stirn bieten, die Waffengeklirr mit Potenz verwechseln! Wir sind seit langem Mann und Frau, haben acht Kinder großgezogen und gemeinsam unseren Ältesten beweint – warum vertraust du mir nicht?«
    Pasiphaë schwieg. Es war dunkel im Raum, das Feuer im Kamin heruntergebrannt zu glühender Asche. Die kalte Herbstnacht war angebrochen. Frostig und hart fühlte sich auch ihr Inneres an. Sie verschloß sich vor dem Mann, der so eindringlich zu ihr gesprochen hatte. Schließlich entzündete sie mit einem Span die Öllampen und begann wieder zu sprechen.
    »Damals galt dein Interesse anderen Weiberröcken. Und heute wunderst du dich, daß deine Söhne und Töchter kein Vertrauen zu dir haben! Nein, Minos, zum liebevollen Vater fehlt dir wirklich das Talent! Was Kreta betrifft, so vergiß dabei nicht das Wichtigste: Es war meine Herrschaft, die der Insel Frieden und Reichtum beschert hat!«
    Minos war langsam zur Türe gegangen.
    »Ich lasse dich jetzt allein«, sagte er bedrückt. »Aber wir werden unser Gespräch fortsetzen müssen, ob es dir gefällt oder nicht.«
    »Wie weise! Wie versöhnlich!« höhnte Pasiphaë. »Warum zeigst du nicht dein wahres Gesicht und konzentrierst dich auf deine eigentliche Stärke: kriegerische Planspiele, mit denen du ein paar wildgewordenen Barbaren auf dem Festland Angst einjagen kannst?«
     
    Tag der Jagd. Noch in der Dämmerung waren sie aufgebrochen und hatten den Wald erreicht, als die Sonne aufging. Zwischen Kiefern, Mastixbäumen und Zypressen standen vereinzelt Steineichen, die bereits spätherbstlich kahl waren. Aber das feuchte Moos zu ihren Füßen war grün und saftig, ebenso wie das dichte Gestrüpp von Wolfsmilchgewächsen und Dornbüschen, durch das sie sich schlugen.
    Asterios, der bislang nur Jagd auf wilde Böcke und Ziegen gemacht hatte, fühlte ein merkwürdiges Kribbeln im ganzen Körper. Mit Deukalion und Ikaros folgte er der Fährte, die die Meute ihnen angezeigt hatte. In dieser Welt voller Gerüche und raschelnder Bewegungen war er der Göttin nah, wie schon seit langem nicht mehr. Zögernd nur hoben sich die feuchten Morgenschleier. Die Hunde waren ihnen weit voraus, Dienerschaft und Begleiter ein ganzes Stück zurückgefallen. Ihre Bogen aus Eibenholz hatten sie geschultert, die Pfeile steckten im ledernen Köcher, an ihren Gürteln baumelten

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