Palast der blauen Delphine
Fangschlingen.
Aufgescheucht von den Hunden stoben vor ihnen die Rebhühner auf, und sie schickten ihre Pfeile hinterher. Nachdem die abgeschossenen Vögel apportiert worden waren, nahm die Meute erneut die Dufthetze auf und schlug an, als sie das Fährtenzeichen des Hirsches entdeckt hatte. Als erster stürmte Deukalion los; die anderen folgten ihm, erhitzt vom Feuer der Jagd, das sie alle ergriffen hatte.
Er spannte den Bogen. Asterios spürte, wie der Schütze sich mit der Kraft und dem Geist des Hirsches verband, der nicht weit entfernt äste. Langsam hob er seinen Schädel mit dem großen Geweih. In diesem Augenblick schwirrte Deukalions Pfeil ab und bohrte sich in seine Kehle. Der Hirsch stürzte zu Boden, tödlich getroffen.
Jetzt loderte sie ungezügelt in den Männern, jetzt hatte sie auch von Asterios machtvoll Besitz ergriffen: die uralte Lust zu wittern, nachzusetzen und die Beute zu stellen. Schweißgetränkt waren die Gewänder der Jäger und ihre Kehlen rauh vom lauten Rufen. Der Troß pirschte weiter durch den Wald; Deukalion, Asterios und Ikaros noch immer an seiner Spitze. Unermüdlich brachen sie durch das Unterholz und ließen Entenschwärme auffliegen. Sie waren hungrig und durstig, aber sie gönnten sich keine Ruhe.
Erst gegen Mittag ertönte das Hornsignal zur Rast. Ikaros, dem hellrote Flecken auf den Wangen brannten, konnte seinen Blick nicht lösen von Deukalion, der in seinem Wams und den ledernen Hosen selbst wie eines der Waldgeschöpfe wirkte. Ihm war nicht die geringste Erschöpfung anzumerken. An der Spitze von ein paar Männern schwärmte er nochmals aus, um die Beute der aufgestellten Fallen und Jagdnetze einzuholen. Asterios schloß sich ihnen nach anfänglichem Zögern an.
Die Strecke, die sie zurücklegen mußten, war wesentlich weiter, als er sie in Erinnerung hatte. Bald schon spürte Asterios die Blasen, die die harten Stiefel an seinen Füßen gescheuert hatten. Er war erschöpft und beäugte mißmutig Deukalion, der mühelos vorging und jede einzelne der Fallen kontrollierte. Er dagegen folgte schleppend und hoffte, das letzte Netz sei bald erreicht.
Plötzlich blieb Deukalion stehen. Vor ihm lag eine tiefe Grube, die mit Netzen ausgelegt und mit Laub und Zweigen bedeckt gewesen war. Als Asterios neben ihn trat, sah er einen Stier in der Falle. Auf seiner Stirn trug er eine sichelschmale Blesse; seine Hinterläufe waren merkwürdig eingeknickt. Der Bulle empfing sie mit wütendem Brüllen. Deukalion trat ein paar Schritte zurück und langte in seinen Köcher.
»Ihm bin ich schon seit einiger Zeit auf der Spur«, sagte er, nachdem er seine Wahl unter den Pfeilen getroffen hatte. »An dem Mal auf seinem Schädel habe ich ihn wiedererkannt. Diese wilden Bullen stürmen nachts gegen die Gatter und machen die Herden scheu.«
Er spannte die Sehne und fixierte über der Innenseite des Ellenbogens sein Ziel.
»Aber es ist ein Stier! Du kannst ihn doch nicht töten! Schau nur, wie schön er ist!«
Das Tier in der Todesfalle schien mit dumpfem Schnauben zu antworten.
»Schade! Er wäre wirklich ein prachtvoller Bulle für das Stierspringen gewesen. Jetzt aber ist er unsere Jagdbeute und zudem schwer verwundet.« Deukalion hob seinen Bogen. »Seine Hinterläufe sind gebrochen, und wenn mein Pfeil ihn nicht schnell tötet, muß er langsam jämmerlich zugrunde gehen.«
Sein Pfeil schwirrte in die Falle und traf das Tier mitten in den Schädel, wo er vibrierend steckenblieb. Die Blesse wurde langsam rot. Der Stier schüttelte sich, um ihn wieder loszuwerden.
»Große Göttin!« stammelte Asterios. »Er ist nicht tot. Du hast ihn nur verletzt.«
Ärgerlich ließ Deukalion den nächsten Pfeil folgen, der sich in den kräftigen Höcker bohrte. Eine rote Blutbahn zeichnete sich im hellen Fell ab.
Dann der nächste Pfeil und der nächste.
Es sah aus, als habe ihn sein Jagdglück auf einmal verlassen. Die Pfeile, die den Bullen trafen, machten diesen nur noch wütender. Er schnaubte und wand sich vor Schmerzen. Seine Vorderhufe zermalmten das Erdreich. An mehreren Stellen sickerte Blut durch sein Fell, und seine Augen blickten stumpf vor Pein. Allmählich wurde das Brüllen schwächer.
Asterios spürte den Schmerz, die Angst und den Todeskampf des Stiers wie mit tausend Messern in seinem eigenen Körper. Sein Nacken wurde steif, und er spürte die leise Taubheit, die in letzter Zeit bisweilen das Kommen der Bilder angekündigt hatte.
Er wehrte sich nicht, sondern schloß seine
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