Palast der blauen Delphine
Jäger veranstaltet?« Ihre Stimme klang unwillig.
»Ich bitte, mich zu entschuldigen«, sagte Iassos unterwürfig. »Der Umgang mit Ölen und Düften hat mich empfindlich gemacht. Blut, Innereien und lautes Getöse sind nichts für mein sensibles Gemüt. Ich hoffe, du verstehst mich.«
Pasiphaë lächelte dünn. »Ich wünschte, ich könnte auch solche Feinfühligkeiten für mich in Anspruch nehmen. Läßt du uns wenigstens hinaus?«
Iassos strebte eifrig der Türe zu und öffnete sie. Pasiphaë machte er höflich Platz, Asterios aber drückte er beim Vorübergehen einen kleinen, harten Gegenstand in die Hand, der in steifes Papyrus gewickelt war. »Von Ariadne«, murmelte er zwischen zusammengepreßten Lippen.
Vor Schreck hätte Asterios das Päckchen beinahe fallen lassen. Es kostete ihn Mühe, weiterzugehen, während er heimlich den Schatz zwischen Gürtel und Hemd versteckte. Dann beeilte er sich und schritt neben Pasiphaë den Flur entlang, der in die Nordrampe mündete. Sie erreichten die pfeilerbestandene Säulenhalle, wo am Morgen die königliche Wache patrouillierte, und kamen schließlich zu den Stufen, die zum Festsaal im Obergeschoß führten. Lebhafte Stimmen und Musikfetzen waren zu hören. Obwohl alles in Asterios danach verlangte, so schnell wie möglich Ariadnes Botschaft zu lesen, stieg er neben Pasiphaë nach oben.
Der Raum, den sie betraten, war groß und von mehreren Pfeilern und zwei bauchigen Säulen untergliedert. Im Schein Dutzender Kerzen leuchteten an den Wänden Gemälde; den Fußboden bedeckten helle Quarzplatten. Die meisten der Gäste hatten bereits an den gedeckten Tischen Platz genommen.
Ikaros entdeckte er an der Seite seines Vaters. Zusammen mit Katreus, Glaukos und Xenodike saßen sie an der langen Tafel, die man direkt unter den hohen Fenstern aufgestellt hatte. Feste Wolltücher verstopften die Ritzen gegen den stürmischen Wind, der über die Insel fegte. Da Pasiphaë seiner Gesellschaft nicht mehr bedurfte, begab er sich zu ihnen.
Auf dem kleinen hölzernen Podest ganz in ihrer Nähe wollten die Musikantinnen gerade mit einem neuen Stück beginnen. Als sie die Königin sahen, ließen sie die Instrumente sinken.
Sie schritt langsam Phaidra entgegen, die von der gegenüberliegenden Seite auf sie zukam. Blaß vor Konzentration hielt das Mädchen den tönernen Kernos in den Händen, der die Opfergaben für die Göttin der Jagd enthielt. In der Mitte des Saals trafen sie aufeinander und blieben voreinander stehen. Pasiphaë zeichnete ihren Segen über Fasanenfedern und Tierhaut, über Stückchen rohen und getrockneten Fleisches, Pilze und Kräuter. Anschließend küßte sie ihre Tochter liebevoll auf den Scheitel und nahm ihr das schwere Behältnis ab, um es an eine ihrer jungen Gehilfinnen weiterzureichen.
Zuvor aber nahm sie noch eine schöne Fasanenfeder und gab sie Phaidra. Das Mädchen strahlte und steckte sie sich stolz in den Gürtel. Dann setzten sich beide an den Tisch, der am weitesten von dem entfernt lag, an dem der König saß. Minos sah zwar immer wieder zu ihnen hinüber, blieb jedoch, wo er war. Die Königin unterhielt sich lebhaft, aber die Speisen auf ihrem Teller ließ sie beinahe unberührt.
Asterios dagegen langte kräftig zu. Als immer neue Schüsseln aufgetragen wurden, mußte er sich endlich erschöpft geschlagen geben. Längst schon hatte er den Umhang abgelegt und sein Riemengehänge gelockert, nicht ohne sich zu vergewissern, ob das Päckchen noch da war. Er sah sich vorsichtig um. Dies war nicht der richtige Ort, um es zu öffnen.
Warm und stickig war es im Saal geworden. Auch die Duftbecken konnten nicht viel gegen die Wein- und Bratengerüche ausrichten, die sich mit den Ausdünstungen der Festgäste mischten. Katreus, der neben ihm konzentriert den vielen Gängen zugesprochen hatte, warf einen anerkennenden Blick auf den stattlichen Knochenhaufen neben seinem Teller.
»Klug, dir noch einmal den Bauch vollzuschlagen, bevor wieder die Fastenzeit beginnt«, lachte er.
»Ich habe keine Angst vor Hunger oder Durst«, erwiderte Asterios, den die Redseligkeit seines Bruders erstaunte. »Wenn der Magen leer ist, wird der Körper ganz leicht. So, als ob er fliegen könnte. Seit den Tagen in der Höhle kenne ich dieses Gefühl; in vielen Träumen habe ich es seitdem wiedererlebt.«
Der andere sah ihn prüfend an, und zum erstenmal entdeckte Asterios in dessen gröberen Zügen Ähnlichkeiten mit dem hübschen Gesicht Deukalions. »Dann paß nur
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