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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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die Antwort da, als ob sich eine helle Pforte aufgetan hätte.
    Ich bin, der ich bin, dachte er.
    »Ich bin, der ich bin«, sagte er leise, und es klang beinahe fragend.
    Hatasus Augen waren schwarze strahlende Sterne. »Lauter!« befahl sie.
    »Ich bin, der ich bin«, wiederholte er mit fester Stimme und fühlte, wie der Aufruhr in ihm langsam zum Schweigen kam.
    »Ich kann dich nicht hören. Sage mir: Wer bist du?« forderte nun auch Mirtho, die neben die Ägypterin getreten war.
    »Ich bin, der ich bin!« schrie er in die Nacht.
     
    Später dann, viel später, als schiefergraue Wolken den Mond fast verbargen und der Wind sich wieder erhoben hatte, ergriffen die beiden Frauen seine Hände und führten ihn achtmal um das Feuer; mittlerweile war es heruntergebrannt zu schwelender Glut. Mirtho schwieg, während Hatasu einen fremdartigen Singsang anstimmte, der in jede Faser seines Körpers zu dringen schien. Asterios konnte sich nicht erinnern, jemals dieses Lied gehört zu haben, aber dennoch glaubte er, es seit langer Zeit zu kennen. Ganz nah war er der fremden, faszinierenden Frau, die seine neue Schwester war. Er fühlte sich leicht, schwerelos.
    Endlich ließen sie ihn los, und die alte Frau trat in das Dunkel zurück, während die jüngere sich an der Feuerstelle zu schaffen machte. Mit einem Rechen kämmte sie die verkohlten Holzstückchen zu einem Glutteppich auseinander. Als sie damit fertig war, streifte sie ihren Umhang ab, löste die Riemen ihrer Sandalen und bedeutete Asterios, ebenfalls seine Stiefel auszuziehen.
    »Komm!« forderte sie ihn auf und streckte ihm ihre Hand entgegen. Zögernd ergriff er sie und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. »Geh mit festen Schritten über die Glut. Und gib acht, daß die Kohlen deine Füße nicht seitlich oder von oben berühren.«
    Fassungslos starrte er sie an. »Ich soll barfuß durch das Feuer gehen? Und wenn ich dabei verbrenne – Schwester?«
    »Du kannst dich entscheiden«, antwortete sie knapp, ohne auf die fragende Anrede einzugehen. »Entweder beherrschst du die Angst, oder die Angst beherrscht dich.«
    »Aber meine Füße …«, stammelte er.
    »Der Priester der Göttin ist Herr, nicht Knecht der Elemente!«
    Asterios verstummte. Staunend sah er, wie Hatasu leichtfüßig auf die glühenden Kohlen trat. Mit sicheren, gleichmäßigen Schritten ging sie auf ihnen entlang, bis sie wieder den Felsboden erreichte. Lächelnd wandte sie sich ihm zu und zeigte ihm erst die eine, dann die andere Sohle, die ohne jede Spur von Blasen oder Brandwunden waren.
    Ihre Augen schimmerten wie schwarze Perlen. Sei ganz du selbst, schienen sie ihm zu sagen. Hab Vertrauen!
    Und wenn ich doch scheitere? fragte er stumm zurück.
    Du bist der Auserwählte!
    Ich bin, der ich bin, dachte er.
    Da war es wieder, das Gefühl von Kraft und Stärke, von Ruhe und Gewißheit. Asterios gab seinen Widerstand auf und spürte abermals die gewaltige Kraft der Flammen, die sich nun in der Glut konzentriert hatte.
    Er starrte in das Feuer, drang ein in seine zerstörerische und seine heilende Energie, die alles wandelt. Und schloß den Bund mit dem glühenden Element, das die Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichnet.
    Während seine Füße erst behutsam, schließlich beherzt den Glutteppich betraten, während es ihm vorkam, als schreite er über frisches Gras im Morgentau, ließ er alles im Feuer zurück, was ihn bislang begrenzt hatte. Jetzt erst war er bereit, die Gabe des Sehens ganz anzunehmen.
    Als er wieder die Erde unter seinen Sohlen spürte, weinte er, aber er kümmerte sich nicht um die Tränen auf seinen Wangen. Ein nie zuvor gekanntes Gefühl von Freiheit durchströmte ihn.
    In Hatasus Augen fand Asterios Verständnis und Anerkennung. Dahinter spürte er drängende Erwartung, eine unerklärliche Spannung, die sich unmittelbar auf ihn übertrug. Er spürte, wie es ihn zu ihr zog, und erschrak. Das waren keine brüderlichen Gefühle! Sollte sich sein Schicksal zum zweiten Mal auf grausame Weise wiederholen?
    Er würde alles tun, damit das nicht geschah!
    Nur mit Mühe gelang es ihm, sich aus ihrem Bann zu lösen. Er machte einen Schritt zurück und sah die Frau an, die sich zum Schutz gegen die aufsteigende Kühle wieder in ihren Umhang gehüllt hatte. Wie eine dunkle Silhouette stand sie vor dem heller werdenden Morgenhimmel.
    Noch immer meinte Asterios das starke Band zu spüren, das sie beide verknüpfte. Woher kannte er diese Szene, die schmerzliche Saiten in

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