Palast der blauen Delphine
ewigen Zeiten vollzogen. Wie in Trance bewegte er seinen linken Arm auf Mirtho zu und übernahm aus ihrer Hand die Fackel. Einige Atemzüge lang spürte er die verzehrende Hitze auf seiner bloßen Haut.
Das Feuer will mich, dachte er. Mit glühenden Zungen leckt es an mir. Sein Nacken begann zu prickeln.
Es war noch zu früh. Mit großer Anstrengung bannte er das blaue Licht, das ihm das Nahen der Bilder anzeigte. Statt dessen wandte er sich dem Holzstoß zu und hielt die Fackel mitten in dessen dürres Reisigherz. Die Flammen breiteten sich nach allen Seiten aus und griffen hungrig auf die Zweige und Äste über.
Mirtho hatte ihn aufmerksam beobachtet. »Bisher hat die Finsternis geherrscht«, sagte sie. »Nun aber bist du Licht des Großen Lichts. In der Flamme und im Rauch geht dein Opfer auf. Sieh her!«
In einer weitumfassenden Geste wies sie hinab in die Ebene, wo überall Feuer aufleuchteten, die mit ihrem hellen Schein die Dunkelheit durchdrangen.
»Feuer ist eine machtvolle Hilfe gegen das Böse«, hob Mirtho erneut an. »Es erhellt die Finsternis, bannt das Unheil – und alle Schatten. Aber die Große Mutter hat uns diese Schatten auch geschenkt, um uns die Möglichkeit der Wahl zu geben. Das Feuer, Asterios, wandelt uns Menschen wie Metall. Denn es meint die Gegenwart, den Augenblick, nicht die Vergangenheit oder die Zukunft. Wer sich von ihm entzünden läßt, kann nicht länger um Aufschub bitten. Ihn trifft die alles bezwingende Fackel der Erkenntnis …«
Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Er fühlte, wie seine Kehle eng wurde. Blaues Licht begann um ihn zu züngeln, aber er hatte Angst davor, nach innen zu gehen und die Bilder zu empfangen.
»… dann brennt das Herz, und der Geist wird zu Licht. Denn du, Asterios, bist auserwählt, künftig als Priester der Göttin Wächter des Feuers zu sein, das die Große Mutter zu Anbeginn der Zeiten in die Hände der Frauen gelegt hat. Es traf uns aus dem Himmel oder begegnete uns in flammendem Buschwerk. Wir bargen es, trugen es in die Höhle und hüteten es, um Wärme zu schenken, Speisen zu kochen und Tongefäße zu brennen. Heilig und geheiligt sei das Herdfeuer, das Herz jedes Hauses. Es ist das Symbol des Friedens und das Zeichen Ihrer allmächtigen Gegenwart zugleich.«
Asterios konnte kein Glied mehr rühren. Um Erz zu schmelzen und Metall zu gießen, dachte er, um Waffen zu schmieden, die den Feind töten. Wo warst Du, als ich im Herzen des Labyrinths meinem schwarzen Schatten begegnet bin? Als ich meinen Tod in den hellen Augen des Heros gesehen habe, wo warst Du da, Allmächtige?
Gequält krümmte er sich zusammen und schlang die Arme um sich selbst. Nicht ich! bat er inständig. Erwähle nicht mich zu Deinem Dienst, nicht mich, Mutter, bitte!
Er spürte eine flüchtige Bewegung an seiner Seite, einen weichen Körper, der seinen Rücken berührte.
»Feuer ist immer beides«, flüsterte eine seltsam vertraute Stimme an seinem Ohr. »Tod und Leben, Rettung und Zerstörung. Es ist die größte Herausforderung und das einzige Element, das nur uns Menschen zugewiesen ist. Denn andere Wesen bewohnen das Wasser, andere beherrschen die Luft, wieder andere sind besser als wir für das Leben auf der Erde geeignet. Uns allein ist das Feuer vorbehalten: der Ursprung allen Lichts, ohne das kein Blatt wächst und keine Frucht gedeihen kann.«
Wer bin ich? dachte Asterios.
»Sich dem Licht zu stellen«, fuhr sie fort, »ist eine Herausforderung für uns Menschen, die unseren ganzen Willen und unsere ganze Klarheit verlangt.«
Wer bin ich? dachte er.
»Entscheide dich!« drängte die Stimme. »Das Feuer wartet nicht! Jetzt hast du die Chance, der zu werden, der du sein sollst. Dreh dich um!«
Langsam gehorchte Asterios. Vor ihm stand Hatasu im nachtblauen Kleid. Ein breiter Silberreifen hielt ihr Haar aus der Stirn, silbern schimmerte auch die Skarabäusfibel auf ihrer Brust. Ihre Miene war ernst, ihre dunklen Augen aber leuchteten.
Mit wenigen Schritten war sie am Feuer, ergriff einen flammenden Span und hielt ihn Asterios dicht vor die Augen.
»Siehst du?« rief sie. »Begreifst du? Das ist der Grundstoff unserer Seele! Du selbst bist nichts als Feuer, Energie, Kraft, Leidenschaft und Liebe. Sag mir, wer du bist!«
Das Feuer war lauter geworden, Äste knackten und knisterten, die Scheite glühten, in hellem Orange und in sattem Purpur. Wie gebannt starrte Asterios in die Glut und fühlte ihr Brennen in sich.
Dann, mit einem Mal, war
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