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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Und ich habe von klein auf gelernt, auf das zu achten, was ungesagt bleibt. Einen Verdacht hatte ich schon, als du vom Stier auf die Hörner genommen wurdest. Später war ich überzeugt, meine Einbildung hätte mir einen Streich gespielt – bis ich Ariadne und dich zusammen beim Totenfest Meropes sah. Da wußte ich, daß ich recht hatte.« Er beugte sich vor und berührte Asterios an der Schulter. Sein Gesicht schien von innen zu glühen. »Bei niemandem wäre euer Geheimnis besser aufgehoben! Du weißt, daß ich Deukalion liebe, aus ganzem Herzen und ebenso aussichtslos?«
    Asterios nickte.
    »Dabei war es ausgerechnet sein Vater, der mich in die Wonnen der Männerliebe eingeführt hat. Hier – auf Strongyle.«
    Asterios schaute ihn verblüfft an. Minos, der überall als Frauenheld bekannt war!
    Ikaros versuchte zu lächeln, aber es mißlang. »Für Minos sind Menschen Spielfiguren. Besitz ist alles, was ihn interessiert. Und dennoch ist alles in mir eingebrannt, jedes Haus hier, jeder Pflasterstein.«
    »Hast du ihn geliebt?« fragte Asterios.
    »Minos? Nein! Als seine Begierde gestillt war, ließ er mich wieder fallen. Ein paar Jahre später kam ich zum zweiten Mal nach Strongyle, diesmal mit Deukalion. Und alles begann von neuem. Aber jetzt war ich verliebt und fühlte mich wiedergeliebt, zum ersten Mal in meinem Leben. Niemals war ich wieder so glücklich.« Er hob den Kopf. »Kaum aber hatten wir wieder kretischen Boden unter den Füßen, wollte er nichts mehr von mir wissen. Und so ist es bis heute geblieben.«
    Sie waren weitergegangen, zurück zur Hauptstraße, und Ikaros hielt die Hand vor die Augen. Asterios war überzeugt, daß er weinte.
    »So lieben wir beide die stolzen Königskinder«, sagte er ironisierend. »Obwohl sie uns vermutlich immer fremd bleiben werden. Ich liebe Ariadne, und trotzdem verstehe ich sie oftmals nicht.«
    »Uns beide verbindet viel mehr als dieses gemeinsame Schicksal«, erwiderte Ikaros, und in seine Augen kehrte ein winziges Lächeln zurück. »Ich bin froh, daß ich dein Freund sein darf. Keiner kennt meine Seele so gut wie du.«
    »Dann glaube mir, Ikaros!« Asterios war wieder ernst. »Mach du den Anfang! Ich weiß, daß die Ruhe des schwarzen Riesen nur ein Atemholen vor dem nächsten Sturm ist.«
    Er sah ihn so eindringlich an, daß Ikaros unruhig wurde. »Aber was können wir unternehmen?«
    »Die Menschen dazu bringen, diese Insel zu verlassen und sich anderswo anzusiedeln.«
    »Sie werden nicht gehen. Dafür lieben sie ihr freies, schönes Leben hier zu sehr.«
    Asterios bückte sich und hob einen Brocken Lavagestein auf. Er ließ den Stein zu Boden fallen, wo er krachend zersprang. »Was nützt ihr Reichtum, wenn sie unter den Trümmern ihrer Häuser liegen? Was ist ihre Freiheit dann noch wert? Wir Menschen glauben uns anderen Lebewesen weit überlegen – und wie wenig wissen wir in Wahrheit! Hast du auf unserer Reise einen einzigen Delphin gesehen?«
    »Nein. Jetzt, da du davon sprichst, fällt es mir auf.«
    »Weil sie die Gefahr wittern und sich und ihre Jungen rechtzeitig in Sicherheit bringen.«
    »Worauf warten wir dann noch? Warnen wir sie! Oder ist es schon zu spät dafür?« Jetzt war es Ikaros, der voller Unruhe war.
    »Nein, das ist es nicht. Der Berg wird eine Weile ruhen, bevor er sich wieder erhebt. Trotzdem dürfen wir keine Zeit verlieren.« Plötzlich sah Asterios müde aus. »Das Wichtigste sind jetzt die Priesterinnen. Wenn sie bereit sind, die Insel zu verlassen, werden auch die anderen gehen.«

Athenai
    Es war Mittag, als die kretische Galeere in der Bucht von Phaleron vor Anker ging. In Begleitung von Deukalion, Aiakos und der Oberschreiberin Jesa, ließ Minos sich an Land rudern. Nur ein paar Männer aus seinem Gefolge würden ihn in die Stadt begleiten; die anderen blieben in einem provisorischen Zeltlager nahe dem Ufer, um bei Gefahr jederzeit schnell die Segel hissen zu können.
    An Land wurden sie von einer Gruppe Athener empfangen. Viele trugen kurzgeschorene Haare und graue Bärte; in ihren derben Wollgewändern und den Lederpanzern wirkten sie auf die Kreter wie ein finsterer, verkommener Heerhaufen. Ihr Sprecher war ein kräftiger Mann mit weißen Haaren. Trotz seines Alters blitzten seine Augen, und er hielt sich kerzengerade. Hinter ihm tänzelte ein temperamentvoller Rappen nervös am Halfter.
    »Da ist die Spitze des attischen Adels«, zischte Minos Deukalion zu. »Laß dich von ihren groben Kleidern und den bäurischen Mienen

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