Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
steinhart auf dem Boden auf, wo sie unbeweglich und zerschmettert liegen blieben. Diese grauenhafte Sinnlosigkeit. Sie war doch noch jung. Sie wollte leben, wünschte sich zu lieben und geliebt zu werden.
Sie fühlte sich von ihren eigenen Gedanken beschmutzt. Ihre Träume irrten hinüber in ihr vergangenes Glück. Sie sah Theo vor sich, wie er vor dem Krieg gewesen war. Diesen Theo liebte sie. Nie würde sie einen anderen lieben so wie ihn. Jäh verglomm sein Bild. Gespenstische Leere machte sich in ihr breit. Sie hatte angenommen, sie könnte ihn pflegen und schützen, er würde durch ihre Wärme und Geborgenheit wieder gesund werden. Alles war zu Ende. Selbst ihr ohnmächtiger Zorn war plötzlich erloschen. Vielleicht gab es etwas wie ein Wunder. Und er käme wieder zu sich.
Carla sank in sich zusammen. Der Krieg hatte ihr Leben verpfuscht, ihr das Herz aus dem Leib gerissen. Mit schlaffen Schultern stand sie da, gekrümmt wie eine uralte Frau. Worauf wartete sie? Nichts würde sich ändern. Der Krieg würde nie enden und Theo gehörte nicht mehr zu ihr, nichts gehörte mehr zu ihm, er lebte in seiner Schreckenswelt, aus der es kein Entrinnen für ihn gab. Jeden Tag starb er, jeden Tag brodelte der Tod in ihm. Es war ein inneres, unendliches Sterben, eine Qual ohne Ende. Und dennoch, es war etwas in ihm, eine bittende Hilflosigkeit, ein stummes Flehen, ihm zu helfen, ihn nicht zu verlassen. Und dieses Gefühl rührte sie, denn es schien das einzige Zeichen zu sein, mit dem er seine Liebe noch zeigen konnte.
Dunkle Ahnung
Theo stand in einem baufälligen Schuppen. »Sie fasst acht Patronen«, sagte der Händler. Er reichte Theo die Pistole. Theo drehte sie in der Hand, blickte durch Kimme und Korn.
»Ich nehme sie.«
Er gab die Pistole zurück. Der Händler legte sie in eine graue Pappschachtel und fügte die Munition hinzu. Theo schob ihm seinen Verlobungsring über den Tisch, nahm die kleine Schachtel entgegen und verbarg sie in seinem Mantelfutter.
Er eilte nach Hause, hoffte, dass Carla noch nicht zurück war. Er schritt die Treppe empor, lauschte an der Wohnungstür. Kein Geräusch drang nach drauÃen. Er schloss auf. Die Wohnung war leer. Er zog die Schachtel hervor. Wo könnte er sie nur verstecken? Im Mantel auf keinen Fall. Im Schrank auch nicht. Unter der Matratze. Nein. Er sah zum Sofa. In der Ritze! Er fasste mit der Hand in die Ritze, prüfte ihre Tiefe. Sie war nicht zu tief. Er würde die Schachtel wieder herausbekommen. Er schob die Schachtel hinein. Sie klemmte, zu dick. Er hörte ein Geräusch. War da jemand im Treppenhaus? Horchte. Rasch zog er den Karton wieder heraus, riss die Pistole samt Patronen aus der Schachtel und lieà sie in der Sofaritze verschwinden. Die Schachtel verbrannte er im Ofen. Er eilte zum Flur, zog Mantel und Stiefel aus, lief zurück und legte sich hin.
Carla schleppte sich die Stufen hoch. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss. Die Tür klappte. Sie trat ein, zog die Schuhe aus. Ihre Hände und FüÃe waren taub vor Kälte.
Theo lag unter der Decke auf dem Sofa. Sie betrachtete seine schlaffen Mundwinkel, die müden Augenlider, die Falten, die sich in seinem jungen Gesicht eingenistet hatten.
»Wo warst du heute, Theo? Deine Stiefel sind ganz nass.«
»Bin rumgelaufen.«
»Aber wo? Was hast du gemacht?«
Theo lachte gurgelnd auf. »Alles und nichts.«
»Du zitterst wieder.«
Carla sah in seine Augen, die ihr unbeteiligt entgegenstarrten. Sie schleuderte ihre Handtasche auf den Tisch.
»Bin ich denn dein Lakai? Dein Stiefelknecht?« Ihre Gedanken drückten ihr die Kehle ab und trieben ihre Stimme in die Höhe. »Bist du etwa der Einzige, der leidet? Du bist nicht mehr in der Anstalt und auch nicht an der Front. Warum wirst du nicht endlich gesund, warum? Wir hungern. Du gehst nicht einmal Schlange stehen, um Essen zu besorgen. Jeden Tag schleichst du durch die Stadt, ohne Sinn und Verstand. Und dann liegst du auf dem Sofa rum.«
Theo entwichen gurgelnde Geräusche.
»Lass mich in Ruh, lass mich doch in Ruh.« Ein scharfes Lachen folgte. »Was willst du überhaupt hier? Warum bist du da?«
Carla stach ein Dorn durchs Herz. Ihre Stimme rieb wie Schmirgelpapier in ihrem Hals.
»Ich bin hier, weil ich einmal einen jungen Mann kennenlernte, der glücklich war, der sein Leben und seine Arbeit liebte. Ich
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