Palast der sinnlichen Traeume
Plötzlich fühlte sie sich entsetzlich müde. „Warum setzen wir unsere Unterhaltung nicht morgen fort?“, fragte sie vorsichtig. „Ich reise erst gegen Mittag ab. Ich denke, morgen sind wir beide in besserer Verfassung, um darüber zu sprechen, was das Beste für Sam ist.“
„Gut.“ Ohne sich umzudrehen, entließ Khaled sie mit einer unwirschen Handbewegung. „Wir frühstücken zusammen. Ein Diener wird dich um acht Uhr abholen.“
„Einverstanden.“ Lucy wartete, aber Khaled wandte sich noch immer nicht um. „Bis morgen dann.“
Erst als sie die Tür erreicht und ihre Hand schon auf die Klinke gelegt hatte, rief Khaled sie zurück. „Und Lucy …“ Seine Augen funkelten, als er sich zu ihr umdrehte. „Wir werden nicht nur darüber sprechen, wir werden eine Entscheidung treffen.“
Nachdem die Tür leise ins Schloss gefallen war, hob Khaled das Whiskeyglas an die Lippen, stellte es dann jedoch fluchend beiseite. Er fuhr sich müde über das Gesicht und trat hinaus auf seinen privaten Balkon.
Die kühle Nachtluft half, das Pochen in seinen Schläfen zu vertreiben und den Schmerz in seinem Knie zu lindern. Seit Monaten, ja vielleicht seit Jahren war der Schmerz nicht mehr so heftig aufgeflackert wie heute – und Lucy hatte es gesehen. Hatte ihn gesehen, als er schwach und hilflos auf dem Bett lag.
Genau das hatte er immer vermeiden wollen. Er wollte nicht, dass irgendjemand – vor allem nicht sie – erfuhr, wie es um ihn stand. Er wollte das Mitleid nicht, das irgendwann in Verachtung umschlug.
Aus diesem Grund hatte er England damals verlassen. Zumindest besaß er noch so viel Kontrolle über sein Leben.
Allerdings, wurde ihm nun klar, hatten die Dinge sich soeben wieder geändert.
Sam …
Er hatte einen Sohn. Ein Kind von seinem Fleisch und Blut. Endlich eine Familie. Es war ein unglaublicher Gedanke, er fühlte sich stark und schwach zugleich.
In England gab es einen dreijährigen Sohn, der von seiner Existenz nichts wusste. Khaled runzelte die Stirn. Schuldgefühle und Wut stiegen in ihm auf. Er wollte Lucy beschuldigen, ihn nicht intensiv genug gesucht zu haben, und musste sich gleich darauf zerknirscht eingestehen, dass das ein unfairer Vorwurf war. Er hatte nicht gefunden werden wollen.
Er hatte sie aus seinem Herzen und seinen Gedanken verdrängt und geglaubt, alles würde für immer so bleiben. Gewissermaßen hatte er seinen Frieden mit ihr geschlossen. Auf keinen Fall hatte er geplant, sie je wiederzusehen.
Sie wieder zu lieben.
Einen Moment erlaubte Khaled sich, sich in der Erinnerung zu verlieren. Lucy, wie sie vorhin vor ihm kniete, der Schwung ihrer glänzenden Haare, ihre schmalen Hände, die ihm einst so viel Freude geschenkt hatten. Er erinnerte sich, wie das Satinkleid ihren Körper umschmeichelt hatte. Durch die Schmerzen hindurch hatte er Verlangen in sich aufsteigen gespürt.
Verlangen, dem er niemals nachgeben würde. Leugnen konnte er allerdings auch nicht, dass Lucy wieder ein Teil seines Lebens geworden war. Und diesmal würde er nicht verschwinden, denn die Dinge hatten sich geändert.
Sam hatte alles geändert.
Erschöpft erreichte Lucy ihr Zimmer. Sie streifte das Kleid ab und ließ es achtlos zu Boden gleiten. Sie wusste, sie sollte es auf einen Bügel hängen, sonst würde es morgen ganz zerknittert sein, aber sie war zu müde. Ihr Verstand und ihr Körper verlangten nach Schlaf.
Ein paar Stunden im Vergessen versinken – mehr war ihr nicht vergönnt. Morgen war der Tag der Abrechnung.
Was wollte Khaled?
Die Frage beschleunigte ihren Herzschlag. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er irgendetwas wollte. Sie hatte geplant, gehofft, geglaubt, sie sei nach ihrem Geständnis frei und könne gehen, wohin sie wollte.
War sie wirklich so naiv gewesen, das zu glauben?
Dass er seinen Sohn nicht wollte?
Aber mich hat er auch nicht gewollt!
Lucy schlüpfte ins Bett und presste ihr glühendes Gesicht in die kühlen Laken. Heiße Tränen brannten in ihren Augen, und sie stellte überrascht fest, dass ihre Traurigkeit auch Khaled einschloss. Was verbarg er vor ihr? Sie vermochte nicht zu sagen, wie schwer seine Verletzung war, nur dass sie sehr ernst sein musste. Anscheinend war sie so gravierend, dass er nie wieder Rugby spielen konnte.
Hatte er England verlassen, weil seine Karriere als Sportler vorbei war? Aber warum hatte das auch das Ende ihrer Beziehung bedeuten müssen? Die einzige Antwort, die ihr einfallen wollte, war, dass sie ihm nicht wichtig
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