Palast der sinnlichen Traeume
Haus.
Zu ihrer eigenen Überraschung schlief Lucy in dieser Nacht hervorragend. Sie erwachte erst, als die blasse Januarsonne bereits ins Schlafzimmer schien.
Gleich würde sie zu ihrer Mutter fahren und Sam abholen. Sie duschte und zog sich an. Auf der Fahrt zwang sie sich, über die drohenden Veränderungen nachzudenken.
Eines war völlig klar, und das würde sie Khaled auch so sagen: Ohne sie würde Sam nicht nach Biryal gehen. Aber was wäre, wenn Khaled beabsichtigte, Sam jeweils für Wochen oder gar Monate bei sich zu behalten? Sie hatte einen Job und ein Leben in London!
Und würde sie es ertragen, Khaled jeden Tag zu sehen? Vielleicht würde sie sich irgendwann daran gewöhnen. Vielleicht könnten sie sogar Freunde werden?
Eine unmögliche Vorstellung. Sie wollte nicht, dass Khaled und sie Freunde wurden. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der sie viel, viel mehr von ihm gewollt hatte.
Glücklicherweise war das vorbei.
Oder nicht?
Die Frage ließ sie zusammenzucken. Nein, nein, nein, nein …
Gut, sie fühlte sich immer noch zu ihm hingezogen. Lucy war ehrlich genug, sich das einzugestehen. Sein Anblick hatte sie wieder ein prickelndes Verlangen spüren lassen. Aber Liebe? Der Mann, den sie geliebt hatte, existierte nicht mehr. Der Khaled von heute unterschied sich sehr von dem Mann, den sie gekannt hatte. Allerdings gefiel ihr diese Version auch nicht besser als das alte Modell. Tief in seinem Innern war er noch derselbe. Arrogant, anmaßend, gleichgültig.
Seufzend konzentrierte Lucy sich wieder auf die Straße. Sie musste aufhören, über Khaled nachzudenken. Jetzt gab es nur noch eins, was zählte: Sam.
„Mummy!“ Sam warf sich in ihre Arme. Sein kleiner Körper fühlte sich warm und voller Leben an. Einen Moment verbarg Lucy ihr Gesicht in seinen weichen Haaren, dann schob sie ihn von sich und schaute ihn aufmerksam an.
„Irgendwelche neuen Kratzer?“
Stolz präsentierte Sam ihr eine kleine Verletzung am Ellenbogen. Lucy lächelte. „Sieht nicht tödlich aus“, meinte sie und gab vor, die Wunde sehr genau zu untersuchen. „Glaubst du, du wirst überleben?“
„Ist doch nur eine Schramme“, erwiderte Sam verächtlich, konnte sein Grinsen jedoch nicht verbergen. Er liebte dieses Spiel. „Hast du mir ein Geschenk mitgebracht, Mummy?“
Lucy schaute ihn an. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Er besaß dieselben Augen wie Khaled. Mandelförmig, dunkel und golden schimmernd, von langen dichten Wimpern umrandet. Wie hatte ihr das bislang entgehen können?
Natürlich war es ihr aufgefallen – sie hatte es sich nur nie eingestehen wollen. Vier Jahre lang hatte sie alles darangesetzt, nicht an Khaled zu denken. Und jetzt schmuggelte er sich permanent in ihre Gedanken.
„Es tut mir leid, mein Schatz“, murmelte sie und ließ sich vor Sam auf die Knie sinken. „Ich hatte gar keine Zeit zum Einkaufen. Aber ich habe eine besondere Überraschung für dich. Morgen besucht uns ein alter Freund von mir. Wir werden den Tag mit ihm verbringen.“
„Gehen wir in den Zoo?“, fragte Sam begeistert.
„Warst du nicht gerade erst mit Granny dort?“
„Ich will aber wieder hin!“
Lachend ließ Lucy ihren Sohn los, der sofort begann, mit ausgebreiteten Armen im Zimmer umherzulaufen. Der Kleine verfügte über viel zu viel Energie. „Vielleicht. Wir werden sehen.“
Sam bestürmte sie mit noch mehr Fragen, bis er sich schließlich langweilte und in den Garten verzog. Dana nutzte die Gelegenheit, ihrer Tochter selbst ein paar Fragen zu stellen.
„Ein alter Freund?“, wiederholte sie fragend und reichte Lucy eine Tasse Tee.
Lucy seufzte. „Ja. Khaled hat mich nach England begleitet. Oder besser gesagt, ich bin mit ihm im königlichen Jet von Biryal zurückgeflogen. Er möchte Sam kennenlernen.“
„Oh, Lucy.“ Die Augen ihrer Mutter weiteten sich vor Besorgnis. „Damit hast du nicht gerechnet, oder?“
„Nein“, gestand sie. „Aber ich hätte es ahnen müssen.“ Sie nippte an dem Tee. „Ich glaube, ich habe gehofft, dass die Beichte eine Art Befreiungsschlag für mich wäre. Erbärmlich, ich weiß, es ist immerhin schon vier Jahre her.“
„Für dich gab es nie eine klare Trennung“, warf Dana ruhig ein.
„Nein, und jetzt werde ich sie auch nicht bekommen. Khaled hat angedeutet, dass er sich mit ein paar Ausflügen in den Zoo nicht begnügen wird. Er möchte Sam ein echter Vater sein.“
Ihre Mutter schaute sie zweifelnd an. „Und du glaubst, er empfindet auch in ein
Weitere Kostenlose Bücher